The Homelanders, Band 2: The Homelanders - Auf der Flucht (Bd. 2) (German Edition)
Immer war da irgendein Ächzen oder Knarren des Holzes zu hören, die tippelnden, scharrenden Schritte des Ungeziefers in den Wänden. Der stetige Wind draußen auf dem Friedhof, das Rascheln der Blätter, die Grillen in der Dunkelheit …
Langsam, so langsam wie in Zeitlupe, stand ich aus dem Schneidersitz auf, atmete tief ein und ganz leise wieder aus. Geduckt drehte ich mich Richtung Tür. Ich musste verschwinden! Draußen könnte ich sie zumindest kommen sehen, hätte die Möglichkeit, wegzulaufen.
Mit kleinen Schritten bewegte ich mich vorwärts, ganz vorsichtig, um die Holzdielen nicht zum Knarren zu bringen. Ich nahm nichts mit. All die Dinge, die meine Freunde für mich besorgt hatten – den Schlafsack, die Lebensmittel, den Rucksack –, musste ich zurücklassen. Es blieb keine Zeit, sie einzusammeln. Was ich bei mir trug, war die Brieftasche mit dem Geld, das mir weiterhelfen würde. Und das Schweizer Messer.
Auf Zehenspitzen und kaum atmend schlich ich mich aus dem Zimmer. Dabei lauschte ich mit jeder Faser meines Körpers auf verdächtige Geräusche: ob die Eingangstür knarrte oder eine Holzdiele, irgendetwas, das mir verriet, ob die Homelanders bereits hier in der Dunkelheit lauerten. Doch ich hörte nichts.
Jetzt war ich im Flur. Ich musste zur Treppe, nur noch ein Schritt …
Und dann spürte ich ihn, den eiskalten Ring eines Pistolenlaufs an meiner Schläfe. Aus der Dunkelheit kam Mr Shermans Stimme: »Zu spät, Charlie.«
28
D IE S TUNDE DER W AHRHEIT
Der helle Strahl einer Taschenlampe durchschnitt die Dunkelheit und blendete mich. Ich hielt die Hand vor die Augen, um das Licht abzuschirmen, und konnte nur seine Silhouette ausmachen, die schwach im Widerschein der Taschenlampe zu erkennen war. Er nahm die Pistole von meinem Kopf, hielt sie dicht an seinem Körper, außerhalb meiner Reichweite, und wedelte mit dem Lauf Richtung Tür.
»Geh wieder rein!«, befahl er. »Los, mach schon!«
Ich wandte mich vom Licht ab und hoffte, dass meine Augen sich schnell an die Dunkelheit gewöhnen würden. Mit dem Strahl der Taschenlampe wies Sherman mir den Weg zurück in den Salon.
»Setz dich auf den Boden!«, schnauzte er. »Im Schneidersitz!«
Ich tat, was er sagte. Mit der Hand schirmte ich meine Augen weiter gegen das Licht ab und schaute zu ihm hoch. Jetzt konnte ich sein Gesicht sehen, sein langweiliges, jugendliches, allzu vertrautes Gesicht. Er lächelte.
»Ich weiß, dass du ein gefährlicher Typ bist, Charlie«, sagte er in diesem typisch freundlichen Ton, in dem Lehrer oft mit ihren Schülern sprechen. »Aber bis du aus dieser Position aufgestanden bist, kann ich dir mindestens fünf Kugeln in den Körper jagen.«
Da hatte er recht. Doch was mich im Moment viel mehr beschäftigte, war die Tatsache, dass er scheinbar allein gekommen war. Das war merkwürdig. Wenn er einer der Homelanders war, warum brachte er dann keine Kampftruppe mit?
Was auch immer der Grund sein mochte: Das war eine gute Nachricht. Denn sie bedeutete, dass ich noch eine Chance gegen ihn hatte, wenn ich eine Möglichkeit fand, den ersten Schlag auszuführen.
»Denk nicht mal dran«, meinte Sherman, als könne er meine Gedanken lesen. »Du bist nur noch deshalb am Leben, weil ich ein paar Informationen von dir haben will. Aber glaub mir: Wenn du Ärger machst, werde ich nicht zögern, dich zu töten.«
»So, wie Sie Alex getötet haben«, entgegnete ich. Die Worte platzten einfach aus mir heraus. Kaum hatte ich sie ausgesprochen, wusste ich, dass sie der Wahrheit entsprachen.
Er lachte auf. »Du bist derjenige, der Alex umgebracht hat, Charlie. Erinnerst du dich? Das haben die Geschworenen festgestellt.«
Ich schüttelte den Kopf. »Sie haben sich geirrt. Das hätte ich nie getan. Alex war mein Freund. Ich hätte ihn niemals umgebracht, und das wissen Sie. Deshalb haben Sie mich reingelegt.«
Und mir wurde klar, dass auch das stimmte. Gleichzeitig empfand ich eine unglaubliche Erleichterung. Es war verrückt: Während ich völlig hilflos dasaß und Sherman seine Waffe auf mich richtete, erfasste mich eine Welle der Erleichterung.
Ich hatte Alex nicht getötet! Niemals hätte ich das getan. Ich war kein Mörder, das wusste ich.
»Es muss jemand gewesen sein, den Alex kannte«, sagte ichdann und blinzelte zu Sherman hoch. »Es muss jemand sein, der sich ihm mitten in der Nacht im Park nähern konnte. Jemand, mit dem er dort stehen blieb und sich unterhielt. Jemand, mit dem er stritt. Sie waren das, nicht
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