The Homelanders - Im Visier des Todes (Bd. 4) (German Edition)
Geschichte kannten, konnten sie sich bestimmt vieles zusammenreimen. Solange mein Vater geglaubt hatte, ich sei nur auf der Flucht, weil ich wegen Mordes gesucht wurde, war er offenbar schwer damit zurechtgekommen. Aber jetzt, da es für das alles eine Erklärung gab und erwusste, dass ich auf der Seite der Guten kämpfte, war es vermutlich leichter für ihn. Meiner Mom war das alles gleichgültig. Sie wollte nur, dass ich wieder nach Hause kam. Mein Dad hingegen wusste, dass es manchmal gefährlich sein kann, das Richtige zu tun, aber dass man es trotzdem tun muss. Schließlich hatte er mir das selbst beigebracht.
Ich nahm den Hörer auf meiner Seite ab, Mom den auf ihrer. Dad zog einen zusätzlichen Stuhl heran, setzte sich neben sie und legte ihr den Arm um die Schulter. Als die beiden mich durch die Scheibe anschauten, kam ich mir vor wie ein Tier im Zoo.
Mom versuchte, tapfer zu sein. Aber sie hatte Mühe, zu sprechen, besonders, als sie die Schwellungen in meinem Gesicht sah, die sich inzwischen grün und blau verfärbt hatten.
»Oh Gott«, sagte sie mit Tränen in den Augen. »Was ist mir dir passiert?«
»Es geht mir gut«, versicherte ich ihr. »Mach dir deswegen keine Sorgen.« Ich wollte nicht lügen, aber ich wusste auch, dass sie die Wahrheit gar nicht hören wollte. Mein Vater begriff nach einem kurzen Blick sofort.
»Geht es dir wirklich gut?«, hakte Mom besorgt nach. »Hat dich wenigstens ein Arzt untersucht?«
Fast hätte ich gelacht und geantwortet: Der Arzt hieß Faust . Stattdessen wechselte ich das Thema: »Ich habe gute Nachrichten. Mein Anwalt sagt, es bestehe die Chance, dass das Urteil in der Berufung aufgehoben wird. Er meint, ich könnte in ein paar Monaten freikommen.« Ich versuchte so zu tun, als sei es eine sichere Sache.
»Das ist gut«, sagte Mom unter Tränen, doch sie glaubtemir nicht. Sie versuchte nur um meinetwillen, hoffnungsvoll zu klingen.
»Mom, ehrlich, es ist alles in Ordnung«, beruhigte ich sie.
»Das ist gut«, wiederholte sie tapfer.
Als sie nicht weitersprechen konnte, hob Dad die Hand und drücke die Innenfläche gegen die Trennscheibe. Ich erwiderte die Geste. Er schaute mich wortlos an. Er sagte nicht, er sei stolz auf mich, oder ich sei ein Teil von ihm und er leide mit mir. Noch sagte er, dass er jede Nacht zu Gott bete, er möge mich beschützen und seinen Segen in die Abgründe dieser Hölle schicken, damit ich nicht verzweifelte. Nichts von alledem sagte er, und doch spürte ich diese Botschaft allein durch seine Anwesenheit.
Nach einer Weile senkte er seine Hand, und auch ich nahm meine herunter. Er half meiner Mom, aufzustehen, und zusammen verließen sie langsam den Besuchsraum.
Ein paar Minuten vergingen, dann endlich kam Beth den Gang herunter.
In der Schule hatten wir mal ein Gedicht gelesen. Ich erinnere mich nicht mehr an den Titel, aber der Typ, um den es ging, fürchtete sich davor, zu sterben »wie ein kranker Adler, der in den Himmel schaut«. Es fiel mir wieder ein, weil ich mich genau so fühlte, als ich Beth jetzt durch das dicke Plexiglas beobachtete. Sie sah gut aus. Beth sieht immer gut aus. Sie war hübsch, das lockige Haar umspielte ihre sanften Wangen und ihre blauen Augen strahlten. Zu einer gelben Bluse trug sie eine neue Jeans, die ihr sehr gut stand. Beth hatte etwas an sich, das sich schwer beschreiben ließ. Es war einfach ihre nette und freundliche Art, die bereits ihr Gesicht und ihre Augen ausstrahlten.
In Abingdon lernte man, dass es sich mit der Freundlichkeit verhält wie mit der Freiheit: Erst wenn sie nicht mehr da ist, weiß man, wie kostbar sie ist.
Als sie sich hinsetzte, als sie mich anschaute und sah, wie übel ich zugerichtet war, wurde ihr Mund schmal und ihre Augen glänzten feucht, aber sie weinte nicht. Sie fragte mich auch nicht, was passiert war. Sie wusste es.
Es dauerte einen Augenblick, bis sie etwas sagen konnte. Sie schaute mich nur durch die Scheibe an und hielt den Hörer an ihr Ohr. Schließlich fragte sie: »Alles in Ordnung, Charlie?«
»Ja, alles in Ordnung, Beth. Es ist nichts. Aber ich vermisse dich. Das ist das Schlimmste hier. Ich vermisse euch alle. Das ist das Einzige, was wirklich wehtut.«
Ihr Blick blieb an den violetten Prellungen in meinem Gesicht hängen und sie schaute mich skeptisch an. »Du wirst bald hier rauskommen. Ich weiß es.«
»Gut. Halt daran fest und gib die Hoffnung nicht auf. Bitte sprich mit meiner Mom, auch sie darf die Hoffnung nicht verlieren. Die
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