The Hood
Gewalt sei. Sein Vater habe alle möglichen Gegenstände benutzt: große Holzstücke, Gürtel, alles, was ihm so gerade in die Hand kam. Er hatte einen Schädelbruch, gebrochene Beine, gebrochene Arme, er hatte alles gebrochen. Es fing an, als er sechs war. Sein Vater war verurteilt worden und hatte Zeit im Gefängnis verbracht. Der Strafvollzug muss damals brutal gewesen sein.
Ein anderer Klient aus jüngster Zeit war verhaftet worden, nachdem er seine Exfreundin mit dem Auto verfolgt hatte. Sie rannte die Straßen entlang, während er immer wieder versuchte, sie zu überfahren. Cathy warf einen Blick auf seine Vorgeschichte und fand heraus, dass er als Zehnjähriger in die elterliche Wohnung in Drumchapel kam und seine Mutter von sechsunddreißig Messerstichen niedergestreckt vorfand. Sie war von zwei Teenagern ermordet worden. Damals erhielt er keinerlei Hilfe. Er musste es einfach in sich vergraben. Heute ist er Mitte vierzig. Er hatte mehrere Beziehungen, war den Kindern gegenüber nie gewalttätig geworden, sieht sie regelmäßig und wird gut unterstützt. Es ist durchaus möglich, dass sich das alles an ihn herangeschlichen und ihn dann in den Arsch gebissen hat. Es ist eine schreckliche Erfahrung für einen Zehnjährigen, seine Mutter so sterben zu sehen.
Kenny hat die Finger um einen heißen Becher Tee gelegt. Sein Blick zuckt an Cathy vorbei zum Flur.
Er erinnert sich an einen Abend seiner Kindheit. Es ist Winter. Er nähert sich dem Haus von der unbeleuchteten Straße, in der Küche brennt ein Licht. Seine Mutter spricht mit jemandem. Von seinem Vater keine Spur. Sie ist mit einem vierzigjährigen Mann zusammen, stark zurückweichendes Haar, gut genährt. Kenny schleicht sich durch die Wohnungstür und wirft einen verstohlenen Blick in die Küche. Seine Mutter schaut auf. Sie zittert wie ein Geist. Irgendetwas ist überhaupt nicht in Ordnung.
»Was ist los, Mum?«, fragt er.
»Ich muss dich in Pflege geben«, sagt sie. »Du bist ausgerissen.«
Sein letzter Gang mit ihr führt sie in die Edinburgh Road. Sie nimmt ein paar Zigaretten heraus und drückt sie ihm in die Hand.
»Steck sie gut weg«, sagt sie. »Es ist nur für drei Wochen.«
Er weiß, dass sie lügt und sich endgültig von ihm verabschiedet. Er hat Angst, weiß nicht, was jetzt aus ihm werden wird. Sie geht und schaut sich nicht mal mehr um. Er wird schwach beleuchtete Korridore entlanggeführt. Die Jungen, an denen er vorbeikommt, sehen verloren aus. Manche sitzen in der Ecke, die Knie umschlungen, wippen heftig vor und zurück. Haben Angst.
»Hast du Lust, Snooker zu spielen?«, fragt Kenny einen.
Der Junge starrt nur ins Leere. Kenny denkt daran, wie seine beiden jüngeren Brüder und die Schwester zusammen im warmen Wohnzimmer spielen, mit seiner Mum. Warum ist er hier, während sie zu Hause bleiben?
Dann bringt man ihn zu einem Psychiater.
»Hier, nimm einen Apfel«, sagt er und streckt seine Hand aus. Kenny sieht sie stirnrunzelnd an.
»Das ist eine Billardkugel.«
»Ich teste nur deine Konzentration.«
Jetzt befindet er sich in Gesellschaft von Kids, deren Eltern sie aus dem Haus haben wollten. Sie entziehen sich jeder elterlichen Aufsicht. Manche haben Autos gestohlen, Raubüberfälle begangen oder sind mit Gangs herumgezogen. Die nächsten fünfzehn Jahre hat er immer wieder mit ihnen zu tun: in der Erziehungsanstalt, in den Gefängnissen. Aus seinem Teil von Parkhead sind keine anderen Kids da, also muss er kämpfen. Alles stinkt hier nach Politur. Er starrt auf den Hof hinaus, auf dem eine harte, rau wirkende Truppe aus Barrowfield Fußball spielt.
»Ich geh raus kicken«, sagt er zu einem Jungen neben sich.
»Du bist viel zu jung. Die machen dich fertig.«
Sie starren ihn mürrisch an, als er zwischen ihnen auftaucht. Aber seine Beinarbeit ist dermaßen schnell, sie sehen seine Ballbeherrschung. Ein stämmiger Schlägertyp hält sich für den Größten. Kenny jagt ihm den Ball ab und knallt ihn gegen den Maschendrahtzaun. Der Typ ist sauer. Als Kenny das nächste Mal in Ballbesitz ist, hält der Kerl wie ein Rhinozeros auf ihn zu, bereit, ihm mit gesenktem Kopf die Nase zu Brei zu schlagen. Kenny wartet blinzelnd. Dann tunnelt er ihn. Der andere Junge brüllt ihn von der Seite an. Am nächsten Tag schleicht sich der Schläger von hinten an Kenny heran und schlägt ihm von der Seite eine Hantel gegen den Kopf, bricht ihm beinahe den Kiefer. Er weiß, dass er sich wehren muss. Also schart er eine Truppe um sich
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