The Hood
und weicht beim nächsten Mal keinen Millimeter zurück.
»Wir werden dich in eine geschlossene Abteilung verlegen«, sagt einer der Mitarbeiter zu Kenny, nachdem die Kämpfe häufiger werden. »Aber erst, wenn du sechzehn bist.«
Als man dann an diesem Abend alle Mitarbeiter bei einem Spiel der Old Firm brüllen hört, kriecht er über das Dach und springt über den Zaun. Er weiß, dass sie sein Verschwinden erst bemerken werden, wenn das Spiel vorbei ist. Also joggt er durch die Nacht zum Glasgower Hauptbahnhof an der Gordon Street. Ein übergewichtiger Mann in einem Pringle-of-Scotland-Pullover marschiert mit seiner Frau und Tochter durch, und Kenny schließt sich ihnen an, hält den Kopf gesenkt. Er schafft es nach Blackpool und läuft durch das helle Licht der Golden Mile, inmitten von Familien, die hier während der Glasgow Fair Urlaub machen.
1989 war Kenny siebzehn und Glasgow wurde unversehens mit Drogen überschwemmt. Er fing an, Temazepan einzuwerfen, ein verschreibungspflichtiges Medikament. Eine gute Sorte stammte von Wyeth. Das Zeug bewirkte, dass er sich unsichtbar fühlte. Um seine Sucht zu finanzieren, stahl er, brach in Häuser ein und machte Raubüberfälle. Die Stadt Glasgow ließ die alten Mietskasernen sandstrahlen, um den schwarzen Ruß zu beseitigen. Man sprach voller Angst über AIDS . Einmal bedrohte er einen Ladenbesitzer sogar mit einer blutigen Spritze, fühlte sich anschließend aber fürchterlich. Als er ins Glenochil Prison in Stirling kam, ging er an einer langen Reihe Häftlinge vorbei, die sich für Methadon anstellten. Sie knallten eine fette Ladung eines grünen Sirups weg, die jeden nüchternen Menschen umgebracht hätte, spuckten das Zeug dann im Zellentrakt wieder aus und teilten es untereinander auf. Er sah bekannte Gesichter aus dem Erziehungsheim wieder. Er wälzte sich und stöhnte auf dem Bett aus Granit.
»Auf Heroin ist das Bett wie ein Marshmallow«, kam eine Stimme von der Pritsche unter ihm.
Also versuchte er es. Als er entlassen wurde, stellte er fest, dass Gorbals, Barrowfield und Possil mit Straßendrogen überflutet waren. Er selbst sah aus wie ein Kleiderbügel mit Kleidern dran und ging morgens um neun rauf zur Killearn Street, um dort in der Eiseskälte anzustehen. Andere Süchtige standen herum. Das Fenster bewegte sich, und sie rauften miteinander, um nach vorne zu kommen. Er schob zwanzig Pfund durch den Schlitz und kämpfte sich zurück. Jeder für sich. Manchmal, wenn er nur zehn Pfund hatte, prügelte er sich mit anderen hinten bei den Mülltonnen.
Der schlimmste Tag ist der Sonntag. Das ist kalter Entzug. Er macht die Wohnung von oben bis unten sauber, wegen all der Energie. Wenn jemand in Parkhead stirbt oder eine Überdosis nimmt, fragt er sich, wer ihm den guten Stoff verkauft.
Kenny hat nur einen alten Kumpel, John. Eines Abends gehen sie durch den Tollcross Park südlich von Shettleston. Es ist eine wolkenlose Nacht, Raureif überzieht die Äste. Ein altes Auto schnauft vorbei. Im Scheinwerferlicht ragt eine Gruppe dunkler Gestalten vor ihnen auf. Rufe hallen durch die Nacht. Sie stürzen sich auf Kenny, er geht zu Boden. Er blickt hinüber und sieht das Glitzern von Stahl und kondensiertem Atem im Mondlicht. John bekommt siebzehn Stiche ab. Er schafft es nicht. Noch Monate später hallen düstere Gedanken in Kennys Kopf, nagen an ihm wie Krähen. Seine einzigen Freunde sind Junkies und Knackis. Eines Abends nimmt er siebzehn Pillen, um die Gedanken auszusperren. Dann kocht er obendrauf H für einen Zwanziger auf. Er hat die Spritze zur Hälfte gedrückt, als die Wirkung der Überdosis einsetzt. Im Glasgow Royal Infirmary versuchen sie, ihn wiederzubeleben: Für zwei Minuten setzt seine Atmung aus. Dann drei. Durch die unterbrochene Sauerstoffversorgung beginnt sein Gehirn zu sterben. Kenny liegt einfach nur da, während die Uhr weitertickt. Als sie ihn dann endlich zurückholen, hat er vier Minuten und dreißig Sekunden nicht geatmet.
»Ich war ein wandelndes Wunder«, meint Kenny grinsend. »Bin in die Zeitung gekommen.«
*
»Ich fasse es nicht.« Cathy hebt den Blick von einem Aktenstapel, um einer Kollegin aus Sterling zuzuhören, die in ihrem Büro arbeitet. »Ich habe gerade erst angefangen, Klienten aus dem East End zu interviewen. Ich denke, ich habe da was falsch verstanden. Jemand sagte, sie trinken vier Flaschen Buckfast und nehmen hundertfünfzig Valium pro Tag.«
Cathy nickt. Sie hat es nicht falsch verstanden. Besonders
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