The Hood
Biologielehrer. Sie ist überzeugt, sie kann alles tun. Viele Männer aus Glasgow schaffen es nie bis ins Zentrum, geschweige denn, dass sie je die Stadt verlassen. Sie stehen heimlich eine Zigarette rauchend in der Tür ihrer Stammkneipe, und mit einem Mal sind sie fünfzig. Aber sie hat bereits in Tansania, Nordirland und jetzt Lancashire gearbeitet. Sie ist sehr glücklich in West Mercia und bleibt mehrere Jahre dort. Es braucht schon etwas ganz Besonderes, um sie zum Gehen zu bewegen.
Als das Angebot dann schließlich kommt, ist die Herausforderung viel zu groß, um sie zu ignorieren. Die Leitung der Abteilung Intelligence bei der größten Polizeibehörde Schottlands, der Strathclyde Police: achttausend Polizeibeamte und die Chance, alles auf Vordermann zu bringen.
Ihre ersten Tage bestehen aus jeder Menge Vorstellungen, Kennenlern-Gesprächen bei Tee und Keksen. Eines dieser Gespräche wird von einem Polizisten unterbrochen, der seinen Kopf durch die Tür hereinsteckt. Etwas an seinen kurzgeschnittenen grauen Haaren und den dicken Tränensäcken unter den Augen lässt sie vermuten, dass er ein Detective ist.
»Wir brauchen einen Analytiker«, sagt er. »Es gab einen Mord in Barrowfield.«
»Irgendwelche weiteren Details?«, fragt sie.
»Ein Teenager. Rivalisierende Gangs. Der Täter wird nicht weit weg sein.«
Das hat nicht lange gedauert, denkt Karyn, sie hat kaum ihren Kram ausgepackt. Einige Stunden später taucht ein anderer Cop auf, jünger und ehrgeizig. »Wir haben einen Mord. In Shettleston. Drogenmilieu.«
So langsam kommt es ihr vor wie die schottische Krimiserie Taggart . Schon bald laufen die Ermittlungen in sechs Mordfällen gleichzeitig. In ganz West Mercia gibt es nur ein paar Morde pro Jahr. In Glasgow sind es einundsiebzig. Es ist die gewalttätigste Stadt Europas. Die Morde entstehen aus der ausgeprägten Gang-Kultur in den abgelegenen Sozialsiedlungen Glasgows. Es sind die Kids in den ausgedehnten, trostlosen Wohnsiedlungen aus den 50er Jahren wie Easterhouse. Gangmitglieder sind ortsansässige weiße Jugendliche. In einem typischen Mordfall betrinkt sich ein Sechzehnjähriger, um seine Nerven zu beruhigen, trifft sich dann keine halbe Meile von seiner Wohnung entfernt mit anderen Kids aus der Nachbarschaft zu einer zuvor verabredeten Messerstecherei und wird von einem von ihnen getötet. Es geht nur um Hoheitsgebiete und Reviere. Den ganzen bitterkalten Winter über schlagen diese chronisch unterernährten Typen sich gegenseitig tot, um ein paar mit Graffiti vollgeschmierte Straßen und ein Stück Brachland zu beschützen. Jeder, der sich außerhalb seines Gebietes verläuft, riskiert den Angriff einer rivalisierenden Gang.
Karyn ist vollkommen fassungslos. Zur Hälfte besteht der Job daraus, mit den hereinkommenden Leichen Schritt zu halten.
»Einundsiebzig Morde in einem Jahr«, sagt sie und schenkt kochendes Wasser in die Reihe Becher ihrer Mitarbeiter. »Das ist ja schrecklich.«
Ein stämmiger Mittvierziger wartet neben ihr in seiner vor Messerstichen schützenden Kevlarweste, bis er an der Reihe ist. »Das ist der niedrigste Stand seit Jahren«, sagt er und nimmt ihr den Kessel ab. Er wirft ihr diesen speziellen Blick zu, den mit der hochgezogenen Augenbraue. Sie kennt das nur zu gut. Dieser Blick sagt, ich werde mir von keinem Informationssammler, gleich welchen Dienstgrades, unsere harte Arbeit kaputtmachen lassen. Ganz besonders nicht von einer Frau. »Wir haben eine Aufklärungsrate von 98 Prozent.«
Er ist einer der altmodischen Bullen, die Analytiker gern Zivilisten nennen, weil sie ja keine richtigen Polizisten sind. Dabei stachelt er sie nur noch weiter an. Einundsiebzig Morde sind immer noch schrecklich. Schon möglich, dass sie hervorragende Aufklärungsarbeit leisten, allerdings scheinen sie nicht in der Lage zu sein, auch nur einen einzigen zu verhindern. Sie äußert einigen Leuten gegenüber, dass sie die Problematik der Bandenkriminalität unbedingt grundsätzlich in den Griff bekommen will. Margaret, eine ältere Analytikerin mit einem feinen fuchsroten Bubikopf und einer Strickjacke von Pringle of Scotland, ruft sie in einen abgedunkelten Raum.
»Sehen Sie sich das an.« Auf Margarets Computermonitor erscheinen flackernde Bilder. Karyn erkennt schnell, dass es sich um körniges Filmmaterial von Überwachungskameras handelt. Nichts hat sie auf das vorbereitet, was sie dann zu sehen bekommt. Sie verfolgt eine ausgewachsene Massenschlägerei der Gangs,
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