The Hood
junge weiße Männer.«
Das sitzt. Nun hat sie ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
»In London, Manchester und Birmingham sind ethnische Minderheiten in großer Zahl in Gangs organisiert. Okay. Aye, und die Rasse kommt sicher als erschwerender Faktor hinzu, wenn es um Benachteiligung und eine ganze Reihe weiterer Dinge geht, aber unsere Mordrate ist genauso hoch. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, das hier ist kein Wettbewerb, bei dem es darum geht, wer die höhere Mordrate vorzuweisen hat, denn jede ist definitiv zu hoch.«
John Reid kritzelt eine Notiz auf seinen Block. Sie fährt fort.
»In Glasgow gibt es das alles bereits erheblich länger, und es geht dabei nicht um Hautfarbe oder Rasse, es geht vielmehr um Männlichkeit. Der sprichwörtliche harte Mann aus Glasgow. Es ist sehr bequem zu denken, ja, so ist das schon immer gewesen, also wird man nie etwas daran ändern können.«
Alle nicken. Die Diskussion geht weiter. Reid ist engagiert und verbindlich. Der perfekte Politiker. Gelegentlich melden sich seine Ministerialbeamten zu Wort. Sie drücken sich klug aus, aber hinter ihren schönen Worten scheinen sie vor allem nichts Neues tun zu wollen. Am Ende begrüßt Reid Karyn und John herzlich als Schotten, da er ja selbst einer ist, gibt ein bisschen politischen Klatsch auf Kosten von Premierminister Gordon Brown zum Besten und geht dann weiter. Decima Francis kommt zu ihnen.
»Ich kenne Glasgow«, sagt sie. »Ich habe im Tron Theatre gearbeitet, als es 1981 eröffnet wurde.« Sie nimmt Karyns Arm. »Sie haben recht, es ist genau die gleiche Einstellung. Wenn es arme Menschen betrifft, neigt man dazu, die Augen zu verschließen und sie einfach zu ignorieren. Aber es geht um sie. Es geht um die Armen.«
Während des Rückflugs ist John redselig. »Wie fanden Sie es?«, fragt er.
»Decima Francis. Nims Obunge. Die waren sehr eindrucksvoll«, sagt Karyn. Sie gießt ein Döschen Sahne in ihren Kaffee. »Ich sehe die Leute an diesem Tisch und begreife: Das ist es, was Schottland nicht hat. Die haben eine Stimme dort unten. In London sind sie in unmittelbarer Nähe des Innenministeriums.«
»Sie sind noch wütend«, sagt John kopfschüttelnd. »Wütend, weil junge Menschen ermordet werden. Und wir sind es nicht.«
»Das sagt etwas aus über Schotten, darin unterscheiden sie sich sehr von den Leuten im Süden.«
Karyn beugt sich vor und fixiert John.
»Wir werden zu einem runden Tisch nach London zitiert, weil in Peckham vier Jugendliche getötet wurden. Aber allein an diesem Wochenende sind in Glasgow fünf Menschen ermordet worden. Da gab’s keinen runden Tisch. Es hat noch nicht mal irgendwer erwähnt.«
Das lassen beide erst einmal auf sich wirken. Fünf Morde, und niemand schickt ein Team rauf nach Glasgow.
»Erinnern Sie sich an Philip Lawrence? Der Rektor wurde vor seiner eigenen Schule erstochen, und alle sagten: Jetzt reicht es. Oder Damilola Taylor. Die zwei haben dort unten im Süden eine Wende eingeleitet. Aber neulich las ich einen Zeitungsausschnitt über eine Frau aus dem Glasgower East End. Ein sechzehnjähriger Junge wurde niedergestochen, sie kam aus dem Haus und hielt seinen Kopf, während er in der Gosse verblutete. Ich dachte, wenn die Menschen diese Geschichte lesen, dann werden sie denken: Es reicht jetzt, wir haben genug. Aber nichts ist passiert. Und wissen Sie was, ich konnte es einfach nicht glauben. Diese arme Großmutter, die diesen Jungen nicht kannte, ging hinaus auf die Straße und hielt seinen Kopf, während er starb. Und alle interessieren sich einen Scheiß dafür. Er ist ermordet worden, na und?«
Sie zieht ihre Perlenkette über den Kopf und knallt sie auf ihren Schoß.
»Ich erinnere mich an Aufnahmen eines jungen Polizisten aus Ayre, der von einem Jungen berichtet, dem mit einem Schraubenzieher ins Herz gestochen wurde, durch die Brust, und zwar so fest, dass die Spitze aus seinem Rücken rauskam, und während er auf dem Boden liegt und verblutet, sagt er: ›Ich will nicht sterben, wo ist meine Mum?‹ Der Polizist weint sogar in diesem Film, und wir haben das rausgeschnitten. Aber ich kann Ihnen sagen, ich kann das kaum mit ansehen. Da wird man doch verdammt noch mal wütend, dass so etwas passieren kann.«
»Aye«, bestätigt John kopfnickend. »Da war dieser Mord neulich. Eine alte Frau wurde ermordet, es wurde sehr schnell entdeckt, und man verhörte Leute auf der Straße, unter anderem auch zwei Kerle aus Glasgow, vielleicht vierzig, fünfzig Jahre alt.
Weitere Kostenlose Bücher