The Hunter - Die komplette erste Staffel
vollgestellt mit Kisten, Werkzeug und Unrat. In einer Ecke stand ein altes Bett, auf das Singa sich nun setzte, nicht ohne vorher noch einen Schluck aus dem Flachmann zu nehmen. Medina sah sich um und entdeckte zwischen Büchern und Ordnern einen Drehstuhl, dessen Polsterung abgewetzt und durchgesessen war. Aber sie setzte sich dennoch darauf. John räusperte sich und sein Blick flatterte hin und her. „Was wolln’ Sie denn wissen?“ Mittlerweile lallte er.
„Zunächst mal, wie Sie in dem Zustand jagen wollen? Oder haben Sie Ihre Aufgabe an den Nagel gehängt?“
Gedankenverloren spielte er mit einem linsenförmigen Stein, warf ihn hoch und fing ihn wieder auf. Verflucht, der Typ macht mich wahnsinnig mit dem Ding . „Der Legende nach hinterlässt ein naher Verwandter aus dem Indianerstamm den Hinterbliebenen zwei Steine“, begann er. Seine Stimme klang plötzlich ruhig. Fasziniert beugte sich Medina vor. Doch John drehte den Stein in seiner Hand, er hielt ihn gefangen. „Bevor er zum Himmel aufsteigt“, nun sah er sie direkt an. Die dunklen Augen schienen sie zu durchbohren. „Ein runder Stein für die Weiblichkeit und ein linsenförmiger für die Männlichkeit.“ Er hielt den linsenförmigen, glatten Stein nach oben. „Sie sollen die Nachkommen beschützen. Moqui-Marbles werden diese aus Eisen bestehenden Steine in unserem Stamm genannt. Wenn man beide bekommen hat“, flüsterte er, schloss die Faust um den Stein und strich sich mit der anderen Hand über die Augen. „Ich habe nur den männlichen Stein bekommen.“ Und was sollte das nun bedeuten? Medina wagte es nicht, ihn zu unterbrechen. „Verstehen Sie nicht? Das ist mein Schicksal. Den Grund herauszufinden! Warum habe ich nur einen bekommen? Mein ganzes Leben lang hinterfragte ich dieses Phänomen, als meine Eltern starben, und niemand mehr für mich da war. Ich hatte mich daran festgehalten, dass der linsenförmige für meinen Vater stand, aber wenn ich einen für meinen Vater bekommen hatte, warum dann keinen für meine Mutter?“
Dafür fielen Medina auf der Stelle tausend plausible Gründe ein, doch sie wollte sich in seinen Aberglauben nicht einmischen. War es Aberglaube? Steckte nicht in Mythen immer auch ein Fünkchen Wahrheit? Hatte nicht vielleicht irgendjemand mit großer Fantasie Unwahrheiten eingeflochten, um die Geschichten so unglaubwürdig zu machen, dass niemand mehr daran glauben mochte? Und die, die es taten, für verrückt abgetan wurden? Wie die Spinne in der Yucca-Palme? Urban Legends nannte man das auch. Die Lagerfeuergeschichten, die man sich auf Campingausflügen erzählte. Auf denen, die Medina nie mitgemacht hatte. Von denen sie nur gehört, gelesen oder die sie im Fernsehen gesehen hatte. Sie versuchte, sich wieder auf den Indianer vor sich zu konzentrieren. Doch er lag inzwischen mit offenem Mund auf dem Rücken und schnarchte. Schnaubend stand sie auf, ging raus, setzte sich auf einen der Plastikstühle, lauschte den Grillen und genoss die etwas kühlere Brise. Mit ihrem Zippo zündete sie sich eine Zigarette an, inhalierte tief und guckte in den Himmel. Die Sterne funkelten hier viel intensiver. Obwohl die Umgebung nicht gerade die beste war, fühlte sich Medina plötzlich wohl. Auch, wenn ihr dieser verrückte Indianer nichts Hilfreiches erzählen konnte, war sie merkwürdigt beruhigt, dass es noch viel kaputtere Menschen als sie selbst gab.
„Ich kann dir sagen, warum der weibliche Stein fehlt, Med“, unterbrach Ross ihre Überlegungen.
„Ach ja? Da bin ich ja mal gespannt, woher du das wissen willst.“ Eiskalt schwirrte er um ihre Zigarette, bis sie erlosch. Wütend zischte sie in die Nacht. „Verfluchter kleiner Bengel!“ Ross kicherte. „Cool, oder?“ Verdammt cool. Fuck! „Okay, war nicht witzig. Seine Mutter ist nicht in den Himmel aufgestiegen. Etwas hat sie auf der Erde gehalten.“
Eigentlich wollte sie sich gerade eine neue Zigarette anzünden. Überrascht hielt sie inne. „Du hast mit ihr gesprochen?“
„Ja. Sie ist hier. Im Stein gefangen. Da ihr Sohn sich nicht weiter um sie gekümmert hat, hat er auch keine spirituelle Verbindung zu ihr aufbauen können. Er hat ein bisschen gegen ein paar harmlose Dämonen gekämpft, aber seine Macht niemals ausgehändigt bekommen. Der Stein befindet sich ganz nah bei ihm. Er trägt ihn immer mit sich, als Ohrstecker. Nur hat er ihn nie als den fehlenden Stein erkannt. Du musst es ihm sagen. Nur so kann seine Mom endlich in den Himmel aufsteigen und
Weitere Kostenlose Bücher