The Hunter - Die komplette erste Staffel
aus ihr ein Weichei machen. Dann hatte sie es doch gewagt und sich umgeblickt.
Die schrullige Nachbarin Ruth hatte auch hier alles gegen Staub abgedeckt, so dass sie lediglich kleine Hügel unter den Laken ausmachen konnte. Aber die Wände waren noch mit den Aufklebern von Prinzessinnen und kleinen Einhörnern geschmückt. Auf der breiten Fensterbank saß sie früher jeden Nachmittag und blätterte in Bilderbüchern, bis sie selbst lesen konnte. Medinas Blick war zum Wandregal gewandert. Auch das war mit einem Laken verhüllt. Medina juckte es, den Stoff abzuhängen, um ihre alten Kinderbücher zur Hand zu nehmen. Das Himmelbett stand etwas vom Fenster weg und war ebenfalls zugedeckt. Der rosafarbene Chiffonstoff fehlte und auch die Vorhänge gab es nicht mehr. Das große Fenster war auch hier mit Brettern zugenagelt. „Morgen, Medina. Morgen“, hatte sie sich lautstark selbst versprochen und die Türe leise hinter sich ins Schloss gezogen.
Alex unterbrach unsanft ihre Gedanken, weil er über die Werkzeugkiste stolperte, die mitten im Raum stand. Unsinnigerweise hatten sie den richtigen Aufsatz darin nicht gefunden. „Ups“, murmelte er und versuchte unbeholfen, das Gleichgewicht wieder zu gelangen.
Mann! Wieso muss der manchmal so trottelig sein?
„Alex. Wenn du dich dann wieder im Griff hast, wäre es zu freundlich, wenn du mir ENDLICH HILFST, VERFLUCHTE SCHEISSE!“, fluchte sie lautstark.
„Was? Achso ja, ich komme schon, Moment.“
Ich flippe gleich aus, dachte sie, sagte aber zähneknirschend: „Lass dir Zeit.“.
Hektisch fummelte er den Aufsatz auf den Schrauber und hielt das Regal fest. „Du kannst los lassen, Medina, ich hab’s schon.“ Sein Mund war dicht an ihrem Ohr und sofort überkam sie der typische Schauer, wenn er ihr nahe war. Verflucht, nicht schon wieder.
So lange kannten sich Medina und Alex noch nicht. Aber seit er von einer Horde Vampirfrauen gebissen worden war und bei ihr Unterschlupf gesucht hatte, knisterte es zwischen den beiden. Und hatte sich verstärkt, seit er bei ihr wohnte und sie ihm nicht mehr aus dem Weg gehen konnte.
Rasch schlüpfte sie unter seinem Arm durch und setzte sich auf ihr Mädchenbett. Davor stapelten sich ihre alten Bücher und sie nahm Peter Pan zur Hand. Wie hatte sie diese Geschichte geliebt. Ein kleines Mädchen wird mit ihren Brüdern von einem fremden, nie älter werdenden Jungen auf eine Insel namens Nimmerland mitgenommen. Für Medina war Peter Pan ihr erster unangepasster Held und sie war das kleine Mädchen Wendy. Manchmal hatte sie in ihrem Bett wach gelegen und gewartet, dass Peter durch ihr Fenster geschlüpft käme und seinen Schatten suchte.
Da war ihre Welt noch in Ordnung gewesen, behütet von ihrer Grandma, die dann durch die Tür gelugt hatte und sie zärtlich zum Schlafen ermahnte. Als ihr die Tränen kamen, legte sie rasch das Buch beiseite und beobachtete Alex’ Rückenansicht. Die Pomuskeln spannten sich an, als er sich nach oben streckte, das Regal abhängte und auf den Boden stellte. Ihr Mund wurde trocken.
Sie stand auf und fing an, die Spielsachen und Bücher in eine Kiste zu packen. Peter Pan legte sie obenauf, den wollte sie mit in ihr Zimmer nehmen.
„Wenn du dann hier fertig bist, kannst du gerne hier einziehen, Alex. Du solltest allerdings die Wände neu streichen“, grinste sie, hob die Kiste hoch und spazierte hinaus.
„Peter Pan, eh? Med, du wirst doch nicht sentimental, oder? Du weißt, dass ich mit ’ner weichen Jägerin nichts anfangen kann“, neckte Ross, ihr Bruder sie. Erst vor wenigen Tagen hatte er sich Medina im Keller als übriggebliebene Energie offenbart und ging ihr seitdem tierisch auf den Geist.
„Kümmer‘ dich um deinen eigenen Scheiß, Ross“, fluchte sie, nahm das Buch, legte es auf ihr Bett und trug die Kiste in den Keller.
Okay, ich soll also stark sein. Von mir aus. Mit diesen Gedanken stellte Medina die Kiste in eine Ecke des Kellers. Viel war sowieso nicht mehr da. Ruth hatte wohl sämtliche Klamotten verkauft und die meisten Spielsachen an irgendwelche soziale Einrichtungen gegeben, vermutete Medina. In dieser Kiste war ihre Vergangenheit. Ihr Leben vor dem brutalen Mord an Grandma und ihrem Bruder an dem verhängnisvollsten Abend ihres Lebens, an den sie sich nicht mehr erinnern konnte. Sie stieg die Treppe wieder hinauf.
3.
„Okay, Jungs. Was ist es diesmal?“ Wilson warf einen kurzen Blick aus der Diele auf die Katastrophe in dem kleinen Badezimmer. Ehe ihm die Sicht
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