The Immortals 6: Rivalin des Schicksals (German Edition)
eingesperrt. Sie hatte keine Ahnung, was Charles vorhatte, war sich aber sicher, dass Ben noch lebte. Sie wusste, dass sie es spüren würde, wenn er tot wäre.
Er war am Leben – aber wie lange noch? Konnte sie darauf vertrauen, dass Charles ihn verschonte? Oder konnte ihr Bruder den Schmerz, den ihre Liebe zu Ben verursachte, nicht länger ertragen? Es wäre so einfach, Ben das Genick zu brechen, ihn auszusaugen, bis er starb. Oder es einfach wie einen Unfall aussehen zu lassen, sodass sie die Wahrheit nie erfahren würde.
Sie dachte daran, was sie und Charles zusammen durchgemacht hatten, und sie fragte sich, wie es so weit hatte kommen können. Sie hatte ihn vor dem Altar stehen lassen, ihn vor den Augen des Ältestenrats gedemütigt. Sogar jetzt weigerte sie sich noch, zu ihm zurückzukehren, obwohl er alle Trümpfe in der Hand hielt und ihr keine Wahl ließ.
Warum leistete sie überhaupt Widerstand? Wie hatte sie nur glauben können, dass ihr Herz frei wählen durfte? Sie war nicht dazu bestimmt, mit Ben zusammen zu sein, das begriff sie jetzt.
Indem sie sich weigerte, die Wahrheit anzuerkennen, hatte sie jeden verletzt: ihren Zwillingsbruder, ihre große Liebe, die Gemeinschaft der Vampire. Ihrem Schicksal konnte sie nicht entrinnen. Die goldenen Monate in dem grünen Tal, als sie wie eine gewöhnliche Weinbäuerin gelebt hatte, waren genauso falsch gewesen, wie sich einzureden, dass sie für ihren unsterblichen Gefährten nichts mehr fühlte. Sie liebte Charles, aber sie konnte nicht abstreiten, dass die Liebe, die sie für Ben empfand, viel stärker und tiefer war.
Doch leider Gottes war Allegra van Alen kein gewöhnliches Mädchen. Das musste sie akzeptieren oder Ben würde sterben, dessen war sie sich inzwischen sicher. Es gab nichts Wichtigeres für Charles, als die Gemeinschaft zusammenzuhalten. Dafür würde er alles aufs Spiel setzen, auch den Kodex der Vampire. Er konnte Ben nicht am Leben lassen, denn solange Ben existierte, würde sich Allegra nach ihm verzehren und sich Charles nie voll hingeben. Das wusste er.
Sie traf eine Entscheidung.
»Ich möchte mit meinem Bruder sprechen«, sagte sie zu ihrem Bewacher.
Kingsley Martin salutierte. »Ich werde ihn sofort herholen.«
Allegra war froh, dass Kingsley ihr Gefängnis bewachte und nicht einer der anderen Venatoren. Einst waren sie sogar Freunde gewesen. In Rom hatte sie ihm geholfen, gegen die Verseuchung seiner Seele anzukämpfen. Nur wenige vertrauten dem geläuterten Silver Blood, doch Allegra hatte ihn immer gemocht. Sie erinnerte sich an ihn als kleinen Jungen, an Gemellus, den Schwächling.
Sowie Charles den Raum betreten hatte, warf sie sich ihm zu Füßen. Sie schlang die Arme um ihn und senkte den Kopf, sodass ihre Tränen seine Schnürsenkel benetzten.
»Es tut mir leid, es tut mir so leid«, schluchzte sie.
»Allegra, tu das nicht, das brauchst du nicht. Steh auf, bitte. Ich kann es nicht ertragen, dich so zu sehen.« Charles kniete sich hin und versuchte, ihre Arme von seinen Beinen zu lösen. »Bitte lass das.«
Sein Gesicht war voller Kummer und sie wusste nicht, wen es schlimmer getroffen hatte: ihn oder sie. Sie teilten dieses Leid, wie sie alles andere geteilt hatten. Er fühlte, was sie fühlte – natürlich tat er das. Er war ihr Zwillingsbruder und ihr Schmerz war auch seiner.
Es tat ihm weh, mit anzusehen, wie sie sich auf diese Weise erniedrigte. Aber es war ihre Liebe, die auf dem Spiel stand, und sie hatte kein Schamgefühl und keinen Stolz mehr.
»Töte ihn nicht!«, flehte sie. »Lass ihn am Leben, Charlie! Ich werde mit dir gehen. Ich werde die Worte sagen und wir werden verbunden sein. Tu ihm nichts, bitte!«
34
Ein gerechter Krieg
A ls Jack die Lichter des Tempels erlöschen sah, wusste er sofort, dass etwas passiert war.
»Kommt, lasst uns nachsehen!«, sagte er zu den anderen.
Doch der Tempel war leer, als sie dort ankamen. Es gab keine Spur von den Mädchen – oder dass ein Kampf stattgefunden hatte. Alles war ruhig und friedlich.
»Wohin sind sie verschwunden?«, wunderte sich Sam und fuhr sich durchs Haar. »Ich kann sie in der Gedankenwelt nicht aufspüren.« Die telepathischen Verbindungen waren im selben Moment abgebrochen, als das Licht ausgegangen war. Kein gutes Zeichen.
»Es muss hier irgendwo einen verborgenen Pfad geben. Wir haben nicht gesehen, dass sie den Tempel verlassen haben, also müssen sie hinabgestiegen sein«, überlegte Jack laut.
Er kniete sich hin und klopfte den
Weitere Kostenlose Bücher