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The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Rehage
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getrunken.
    Als wir das Restaurant verlassen, ohne zu bezahlen, wird mir klar, dass es tatsächlich ebenso zum Besitz meines Gastgebers gehören muss wie das riesige Badehaus gegenüber.
    »Und das ist noch nicht alles«, raunt der kantonesische Koch mit einer Fahne, die ein Kleinkind besoffen machen könnte. »In der Stadt besitzt Großer Bruder Dong noch ein Hotel, ein paar Computerläden und mehrere andere Geschäfte.« Er macht eine Schlenkerbewegung mit dem Arm, die die ganze Stadt einzuschließen scheint, und flüstert ehrfurchtsvoll: »Alles ist seins!«
    Auch die Augen unseres Gastgebers sehen etwas glasig aus. Er grinst. »Leute, jetzt, wo die Frauen weg sind, gehen wir erst mal duschen, oder?«
    Ich bekomme ein Zimmer im Badehaus zugewiesen, in dem ich meine Sachen abstellen und die Nacht über bleiben kann: bordeauxfarbener Teppichboden, bunte Beleuchtung, Bett, Tisch, Stuhl, Fernseher – und ein bauchiger Nachttopf, der neben der Tür steht und zur Hälfte mit einer undefinierbaren Flüssigkeit und Zigarettenkippen gefüllt ist. An der Wand hängt ein Kunstdruck, auf dem eine nackte Schönheit mit Schlafzimmerblick abgebildet ist. Sie hält eine Vase zwischen den Händen.
    Nach der Dusche bekommen wir Einwegunterhosen aus dünnem Stoff, dann werden wir in weiße Bademäntel gehüllt und in einen großen Aufenthaltsraum geführt, der mit Massageliegen ausgestattet ist. Spärlich bekleidete Damen laufen herum und schenken uns Tee nach, während wir uns unterhalten und an der Wand ein riesiger Fernseher läuft. Ich überlege eine Weile, ob die Damen wohl auch für besonderen Service oder lediglich für harmlose Abendunterhaltung zuständig sind, doch dann lasse ich den Gedanken fallen. Keine von ihnen ist besonders hübsch.
    Irgendwann ist dann der Polizeichef verschwunden.
    »Du, sag mal.« Großer Bruder Dong sitzt mir im Schneidersitz gegenüber und balanciert ein Glas Tee in den Händen. Mir fällt die dicke goldene Uhr an seinem Handgelenk auf. »Wenn du so viel läufst, dann tun dir doch bestimmt auch die Muskeln weh, oder?«, fragt er.
    »Natürlich, besonders die Beine und die Schultern.«
    »Hilft da nicht ab und zu eine Massage?«
    »Weiß nicht, hab ich noch nie so drüber nachgedacht.«
    Er zwinkert mir verschwörerisch zu. »Na, dann wollen wir doch mal sehen, was unsere Mädchen hier für dich tun können, oder?«
    Ach, so eine Massage meint er!
    »Nein, nein, Großer Bruder Dong, das ist doch gar nicht nötig! Ich werde heute lieber früh schlafen gehen. Du weißt schon: Sportler. Aber vielen Dank trotzdem!«
    Er sieht etwas konsterniert aus, doch im selben Moment tönt die Stimme des kantonesischen Kochs von seiner Liege herüber. »Vor zwei Jahren war ich mal in Macao, da gab es japanische Mädchen!« Er blickt in die Runde, und erst als er sicher ist, dass alle ihm zuhören, fährt er fort. »Ich habe mir natürlich eine kommen lassen! Das hat zwar mehr als zweitausend Yuan gekostet, aber« – er legt eine Kunstpause ein – »die war ja auch erst achtzehn!«
    Während wir noch auf die Pointe warten, blickt er stolz um sich. »Ich habe sie gefickt!«, ruft er schließlich laut.
    Anerkennendes Raunen.
    »Gefickt habe ich sie«, wiederholt er träumerisch, »die Japserin!«
    Und wendet sich wieder seinem Tee zu.
    Neben mir springt Großer Bruder Dong abrupt auf, sucht einen Moment mit den Füßen nach seinen Badelatschen und stolpert dann zum Fernseher, wo eine Sängerin zu sehen ist, die ein Liebeslied schmachtet. Er bleibt stehen, schließt die Augen und scheint etwas sehr Wichtiges zu überlegen. Vielleicht ist ihm auch einfach nur übel, denke ich, doch da schlägt er die Augen auf, zeigt unvermittelt mit dem Finger auf die Hüfte der Sängerin und donnert: »Fotzenhaar!« Schlagartig wird es im ganzen Raum still, und alle starren gebannt auf das blaue Abendkleid der armen Sängerin, als ob dort wirklich etwas zu sehen wäre. Ihr Lied handelt davon, dass sie keinen Schlaf finden kann, solange ihr Liebster nicht bei ihr ist, doch Dongs Stimme übertönt sie: »Große oder kleine Frauen, dicke oder dünne, Chinesinnen oder Ausländerinnen – Fotzenhaar! Was meint ihr, wie es bei dieser hier aussieht?« Er nickt zufrieden, als hätte er gerade eine wichtige Auseinandersetzung für sich entschieden. »Schwarz und gekräuselt!« Die Damen beeilen sich, weiter Tee nachzuschenken.
    Als ich wenig später in meinem Zimmer auf der Isomatte liege, die ich vorsichtshalber auf das Bett gelegt habe,

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