Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Rehage
Vom Netzwerk:
Völkerwanderungen abzuebben begannen und sich die Dunkelheit des Mittelalters über die Ruinen Roms zu senken drohte.
    In der Inschrift geht es um die Gründung des Klosters in den ersten Jahren der Sui. Diese Dynastie hatte zwar nur zwei Kaiser und konnte nicht einmal ein halbes Jahrhundert überdauern, bevor sie hinweggefegt und von der Geschichtsschreibung verhöhnt wurde, aber ihre Verdienste sind trotzdem beachtlich: Die beiden Kaiser, Vater und Sohn, waren die Ersten, die China wieder dauerhaft vereinen konnten, fast drei Jahrhunderte nach den Verwerfungen zur Zeit der Drei Reiche. Außerdem waren sie große Baumeister und Reformer und schufen nicht nur eine Verteidigungsmauer im Nordwesten und eine Milderung der Strafgesetze, sondern legten auch mit dem Bau des Kaiserkanals und einer allgemeinen Umverteilung des Bodens die Grundlagen für den Wohlstand der darauffolgenden Jahrhunderte.
    Warum aber spricht die Geschichte dann so schlecht von den beiden Sui-Kaisern?
    Verschlossen, misstrauisch und rachsüchtig sollen sie gewesen sein, und von dem Sohn heißt es sogar, er habe seinen Bruder und seinen Vater gemeuchelt, um an die Macht zu kommen. Außerdem soll seine Verschwendungssucht geradezu lächerliche Züge angenommen haben.
    Auf meinem Handy erscheint eine Nachricht von Juli. In München sei heute Schnee gefallen – ob es bei mir auch so kalt wäre? Ich solle doch bitte daran denken, immer meine Mütze zu tragen und regelmäßig meine Mahlzeiten einzunehmen! Daneben ist ein kleines lachendes Gesicht aus einem Doppelpunkt und einer Klammer.
    Wie immer hat sie recht. Es ist drei Uhr nachmittags, das Wetter wird zunehmend kälter, und ich habe heute noch nichts Richtiges gegessen. Dafür konnte ich auf der Karte von Zhengding schon drei Punkte abhaken: ein Museum, eine kleine Pagode und das berühmte Kloster von Longxing. Drei weitere Punkte liegen noch vor mir, und bis zur Provinzhauptstadt sind es noch ungefähr dreißig Kilometer zu laufen.
    Ich beschließe, mir für heute ein Zimmer in der Nähe der nächsten Pagode zu suchen und morgen meine Besichtigungstour mit einem Marsch nach Shijiazhuang abzuschließen.
    Zwei Tage später sitze ich in einem Restaurant am Tisch und warte auf meine Bestellung. »Eine schreckliche Stadt, oder?«, sagt der Mann neben mir und stopft sich vergnügt ein Teigtäschchen in den Mund. Er hat auffällig scharf geschnittene Gesichtszüge, auch wenn die inzwischen etwas fülliger geworden sind. Ich überlege, was ich antworten soll, während er bereits über sein nächstes gemüsegefülltes Opfer herfällt und mich erwartungsvoll ansieht. Natürlich ist diese Stadt schrecklich! In meinen Augen ist Shijiazhuang wie Beijing, bloß mit weniger Einwohnern und weniger Kultur, dafür aber mit noch schlechterer Luft. Es ist hier so staubig, dass manche Leute ihre Autos über Nacht mit Planen abdecken, damit sie nicht völlig verdrecken.
    Die Bedienung erscheint und stellt eine Portion dampfende Teigtäschchen vor mir ab. »Die sind bestimmt sehr lecker!«, sage ich diplomatisch und bin froh, dass mir noch etwas anderes Positives einfällt. »Außerdem gehören die Tempel von Zhengding ja auch schon fast zu Shijiazhuang!«
    »Hey, du kennst dich aus!«, lacht er und schenkt erst mir und dann sich selbst etwas Tee nach. »Aber die Stadt bleibt trotzdem schrecklich!« Mit dem Daumen zeigt er über seine Schulter auf die Glastür, hinter der der Verkehr in dichten Reihen über die Hauptstraße walzt. »Shijiazhuang gibt es eigentlich nur wegen des Bahnhofs!«
    »Eine geplante Stadt?«
    Er nickt. »Industrie und Militär.«
    Das ist mir auch schon aufgefallen. »Mein Hotel ist wirklich voller Soldaten!«
    »Welches denn?«
    »Das Huiwen am Bahnhofsplatz.«
    »Eines von den Hochhäusern? Wie viel bezahlst du da?«
    »Zweihundert.«
    »Nicht schlecht, aber die Armee kriegt es bestimmt billiger«, sagt er, »und nicht nur, was die Zimmer angeht!«
    Er grinst vielsagend, und ich denke daran, wie ich mich gestern Abend im Aufzug zu einer Gruppe junger Mädchen hineinquetschen musste, die mit ihren hautengen Kleidern, den hochgesteckten Frisuren und der Wimperntusche aussahen, als ob sie auf dem Weg in die Disco waren. Nur dass der Aufzug nach oben fuhr und nicht nach unten.
    Ich muss lächeln, und der Mann beugt sich vor, um schnell noch eine weitere Pointe unterzubringen. »Du hast bestimmt schon mal gehört, was man über die Bevölkerung von Shijiazhuang sagt, oder?«
    »Was denn?«
    »Nun,

Weitere Kostenlose Bücher