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The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Rehage
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gewesen, sagt er. Ob ich mich denn auch ordentlich benehme?
    »Natürlich!«, rufe ich lachend.
    »Gut, gut«, brummt er, ganz der große Bruder.

IM BADEHAUS
    Drei Tage später ist mein Objektiv immer noch nicht fertig. Außerdem tut mein Fuß weh, obwohl ich gestern in einem winzigen Hotel am Wegesrand pausiert habe, um die Blase aufzustechen.
    Laut Karte sind es noch knapp einhundert Kilometer bis in die Provinzhauptstadt Shijiazhuang. Danach fängt der Weg durch die Berge an, und ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll oder nicht. Einerseits ist mir jede Veränderung der Landschaft willkommen, weil mir das farblose Flachland von Hebei langsam zum Hals heraushängt. Andererseits habe ichaber auch Angst vor den Bergen. Was ist, wenn es dort oben nicht so einfach wird, wie ich mir das vorstelle? Wenn irgendwann der Schneefall einsetzt?
    Mittlerweile sind fast alle Bäume kahl, und die Wiesen und Felder haben ein trauriges Ockergelb angenommen. Ich komme an einer Herde Schafe vorbei, die mich mit verwundert anstarren. In einem ölverschmierten Hof steht das Gerippe eines Traktors herum. Werkzeuge liegen auf dem Boden verteilt, von Menschen ist weit und breit keine Spur zu sehen.
    Plötzlich stehe ich vor einem Schild: PLATTFORM DES FUXI steht da, und ein Pfeil deutet auf einen Weg, der im rechten Winkel von der Straße abgeht. Fuxi? Ich habe eine ungefähre Ahnung, was das sein könnte, aber ich muss mein Wörterbuch herauskramen, um Klarheit zu erhalten: Fuxi ist der erste der legendären drei Urkaiser, die laut der Überlieferung den Chinesen nicht nur das Fischen und die Jagd, sondern auch die Schrift, den Hausbau, den Kalender und die Seidenherstellung beigebracht haben sollen. Irgendwo habe ich gelesen, dass diese mythischen Gestalten, wenn es sie denn wirklich gegeben haben sollte, ungefähr zur gleichen Zeit wie die ägyptischen Pharaonen Cheops und Chephren gelebt haben müssen, also vor fast fünftausend Jahren. Und hier steht eine Plattform von Fuxi, dem Allerersten der drei? Aber Moment mal, was ist damit eigentlich gemeint: Plattform? Ich habe zwar keinen blassen Schimmer, überlege mir aber, dass mein Freund Zhu Hui sicherlich begeistert wäre, es herauszufinden.
    Nach anderthalb Stunden entspannten Humpelns in der Nachmittagssonne komme ich zu einer großen Tempelanlage, vor deren Tor zwei Autos geparkt sind. Die Ticketverkäuferin schielt mich aus ihrem Kabuff heraus an und versucht gar nicht erst, ihre Neugier zu verbergen.
    »Warum heißt das hier Plattform?«, frage ich, als sie mir das Ticket herausreicht. »Dieser Ort sieht mir eher aus wie ein normaler Tempel, oder?«
    »Na ja, ein Tempel ist es schon, aber es wird Plattform genannt, weil Fuxi hier gelebt hat!«, antwortet sie.
    Ich bin beeindruckt. »Er hat GENAU HIER gelebt, an dieser Stelle?«
    »Ja, natürlich.«
    »Und woher weiß man das?«
    Sie schaut beleidigt. »Man weiß es halt! Zehntausende von Leuten kommen jedes Jahr aus ganz Asien hierher – die würden doch nicht den Weg auf sich nehmen, wenn sie es nicht wüssten!«
    Die Tempelanlage an sich ist nicht sehr aufregend: Alles ist irgendwie neu, ähnlich wie im Pfirsichhain damals, und ich vermute, dass auch diese Gebäude höchstens zwanzig oder dreißig Jahre alt sind. In der Haupthalle ist eine Statue des Fuxi, die unter einem gelben Schirm thront und aus halb geschlossenen Augenlidern auf mich herabblickt. Wie die meisten Helden aus der chinesischen Geschichte trägt auch er einen Bart, aber bei ihm ist er so dünn und gepflegt, dass es fast schon etwas Dandyhaftes hat. Unwillkürlich fasse ich mir ans Kinn: Vor mehr als drei Wochen habe ich mich zum letzten Mal rasiert und mir die Haare geschnitten, und ich frage mich mittlerweile ernsthaft, ob ich nicht einfach Xiaoheis A-Gan-Idee umsetzen sollte.
    »Mach’s wie dieser Typ aus dem Film!«, meinte er damals, nachdem ich ihm von meinen Wanderplänen berichtet hatte. »Dieser, äh … A Gan!«
    »A Gan?«
    »Ja klar, du läufst und läufst, und währenddessen lässt du einfach immer deinen Bart und deine Haare wachsen, bis du aussiehst wie A Gan! Super, oder?«
    Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass er den chinesischen Namen von Forrest Gump verwendete.
    Vielleicht sollte ich mir wirklich nicht mehr die Haare schneiden oder den Bart rasieren, solange ich laufe. Sieht bestimmt lustig aus.
    Ich setze mich vor der Tempelhalle auf eine Mauer und packe eine Schachtel Kekse und eine Dose Mandelmilch aus. Die Sonne

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