The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)
kann ich von irgendwoher Geräusche hören. Ob das eine der Damen des Hauses ist? Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir klar, worum es heute eigentlich ging: Dong hatte vor, den Polizeichef auf seine Seite zu ziehen. Deshalb der Ausflug zum Tempel, deshalb das üppige Abendessen und deshalb natürlich auch das anschließende Amüsement im Badehaus. Aber wie passe ich da hinein?
Mir fallen die Reisen mit China Foto Press vom letzten Jahr ein: die riesigen runden Tische, die Lokalpolitiker, die chinesischen Fotografen und die Presseleute. Wir waren eine kleine Gruppe ausländischer Fotografiestudenten, die eingeladen war, um Sehenswürdigkeiten zu dokumentieren. Spätestens nach ein paar Tagen machten wir uns jedoch nichts mehr vor. »Warum sind wir überhaupt hier?«, fragte jemand, und ein anderer brachte es ziemlich genau auf den Punkt: »Wir sind für das internationale Flair zuständig!«
Na ja, mir soll es recht sein, denke ich und beschließe, noch einmal zur Toilette zu gehen, wobei ich peinlich genau darauf achte, nichts zu berühren. Als ich gerade auf den Gang getreten bin und die Tür hinter mir schließen will, taucht Großer Bruder Dong vor mir auf. Er guckt mich glasig an.
»Moment mal«, sagt er und streckt den Zeigefinger in meine ungefähre Richtung, »du hast deine Massage noch nicht bekommen, oder?«
»Aber das ist doch auch gar nicht nötig!«
»Keine Widerrede! Du bist schließlich mein Gast. Warte kurz hier!«
Okay. Also eine Nutte. Es wäre ja nicht das erste Mal.
Nach einer Weile taucht er wieder auf, und diesmal hat er tatsächlich eine der Damen aus dem Aufenthaltsraum im Schlepptau. Sie ist nicht nur die am wenigsten schöne von allen, ich hätte sie auch normalerweise wahrscheinlich eher mit »Tante« angesprochen. Immerhin hat sie sich umgezogen und trägt jetzt ein kurzes Kleid und eine winzige Handtasche, die sie mit beiden Händen von sich weghält.
»Na, dann amüsiert euch mal schön!«, lacht Dong glucksend, gibt mir einen Klaps auf die Schulter und torkelt von dannen.
Einen Moment lang stehen wir vor meiner Zimmertür herum. »Und was jetzt?«, fragt sie unbegeistert.
Soll ich sie einfach wegschicken, auf die Gefahr hin, dass Großer Bruder Dong bemerkt, wie wenig ich sein Geschenk zu schätzen wusste?
Es gibt nur eine Lösung. »Du kommst mit rein, wir unterhalten uns eine Viertelstunde lang, und morgen erzähle ich ihm, wie toll es war. Alles klar?«
»Okay.«
»Sag mal, kannst du überhaupt richtig massieren?«, frage ich, damit es nicht so still ist im Raum. Sie sitzt auf der Bettkante und betrachtet ihre Nägel, während ich auf der Isomatte auf dem Bett liege.
»Nee«, sagt sie und hebt überrascht den Kopf, »wir bieten hier anderen Service an, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Ach so, damit kenne ich mich nicht aus«, lüge ich.
Einen Moment lang herrscht wieder Stille, dann fällt mir noch etwas ein. »Was hast du vorher gemacht?«
»Du meinst früher?«
»Ja.«
»Da habe ich Handys verkauft.«
»Und warum machst du jetzt das hier?«
»Mehr Geld. Weniger Arbeit.«
»Ah. Läuft es denn gut?«
Sie guckt mich überrascht an. »Natürlich läuft es gut, wir sind ein sehr hochklassiger Betrieb!«
Sehr hochklassig??
»Hm«, mache ich.
»Du verstehst nichts davon«, sagt sie und legt mit einem Mal eine überraschende Redseligkeit an den Tag. »Warst du schon mal in einem dieser großen Karaoke-Läden, in denen sich zu jedem Zeitpunkt fünfzig oder sechzig Mädchen um die Kundschaft streiten müssen? Da wird man doch regelrecht verramscht.Wir hier sind nur wenige Mädchen, aber wir erfüllen den Kunden alle ihre Wünsche!«
»Hm.«
Sie blickt mich aufmerksam an. Ich denke, dass sie früher vielleicht einmal halbwegs hübsch gewesen sein mag.
»Wie alt bist du?«, fragt sie.
»Sechsundzwanzig. Und du?«
»Ein bisschen älter als du. Und du bist Amerikaner?«
»Deutscher.«
»Wir hatten hier noch nie einen Ausländer.«
Schweigen. Ihr Blick wandert an mir herunter, fällt auf meine Unterhose. »Sag mal, seid ihr wirklich so groß?«
Ich muss lachen. »Ich habe noch nie verglichen!«
»Lass mich mal sehen!«
Klar, ich bin ja schließlich auch im Puff.
Sie wirft einen Blick in meine Unterhose und grinst. »Ja, das ist schon okay. Aber es ist nicht so, dass wir nicht schon mal einen hatten, der größer war als du!«
»Ein Kunde?«
»Ja, klar. Der zog einfach nur die Hose herunter, und das erste Mädchen kam sofort schreiend
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