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The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Rehage
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fast unmerklich die Mundwinkel hochzieht.
    Die nächsten Tage führt mich mein neuer Freund durch seine Heimatstadt und macht dabei unentwegt Filme von mir. Es gibt scheinbar nichts, das es nicht wert wäre, in aller Ausführlichkeit dokumentiert zu werden: Leike verspeist eine riesige Portion Nudeln. Leike geht in einen Outdoorladen. Leike guckt den Mädchen hinterher, die die Shoppingmeile rauf- und runterwackeln.
    Und oft benutzt er hinterher freudestrahlend den Beijinger Ausdruck »Kuhfotze«.
    Aus dem Mund des schüchternen Reporters hört er sich allerdings ziemlich komisch an. Als ich ihm mitteile, dass Linfen überhaupt nicht so schmutzig ist, wie die Medien behaupten, lacht er glücklich: »Ja, ja, die Medien, Kuhfotze!« Die Regierung habe in den letzten Jahren viel für den Umweltschutz getan, und der Titel der verschmutztesten Stadt Chinas sei inzwischen längst an irgendeinen Ort im Hinterland gegangen – an Ürümqi vielleicht!
    Ich muss an meinen Freund Zhu Hui denken: Sein Zuhause ist nicht weit von Ürümqi entfernt. Mittlerweile kommt es mir wie eine Ewigkeit vor, seit ich ihn in Baoding auf seinem Fahrrad im Verkehr habe verschwinden sehen. Wie lange wird es wohl dauern, bis ich ihn wiedersehe?
    Mein Freund der Reporter hat seine lustigen Seiten, aber er ist ein ganz anderer Typ als der spielerische Zhu Hui. Er hat früh geheiratet und ist sehr ernsthaft bestrebt, seine Karriere beim Sender voranzubringen. »Gar nicht so einfach, wenn man nicht die entsprechenden Beziehungen hat«, stellt er trocken fest, und es ist kein Anflug von Ironie oder Bitterkeit dabei.
    Über seine Frau erfahre ich lediglich, dass sie im Krankenhaus arbeitet und ihn ganz gut unter der Fuchtel hat. Sein Lieblingswort würde er zum Beispiel niemals vor ihr sagen, ganz im Gegenteil: Jedes Mal, wenn sie anruft, wird seine ohnehin schon nicht gerade voluminöse Stimme zu dem zärtlichen Säuseln einer verliebten Fliege, und meist bittet er sie dann für irgendetwas um Entschuldigung: für unsere Zeitplanung, für die Kälte, für den Wind. Ich kann mir gut ihren leicht angesäuerten Gesichtsausdruck am anderen Ende der Leitung vorstellen, und seinem entschuldigenden Lächeln nach zu urteilen kann er es auch.
    Zwei Tage amüsieren wir uns in der Stadt, am dritten laufen wir zusammen ein paar Stunden bis zu einem Tempel am Stadtrand. Er möchte gern den Vorgang des Laufens filmen: Sachen packen, Schuhe anziehen, losgehen, fotografieren, pausieren, essen und trinken und vor allem laufen, laufen, laufen . Abends, als ich in einem kleinen Hotel untergekommen bin, nehmen wir voneinander Abschied, denn ich habe vor, in den nächsten Tagen die ersten tausend Kilometer vollzumachen, und diesen Augenblick möchte ich gern für mich allein haben.
    »Du wirst vor Freude tanzen, oder?«, fragt er, und seine leuchtenden Augen verraten, dass er am liebsten dabei sein und mich mit seiner Kamera beim Tanzen aufnehmen würde.
    Ein Freudentanz bei tausend Kilometern? Ja, das wäre genau das Richtige. Das wäre richtig Kuhfotze.
    Am nächsten Mittag werde ich mitten im Schneegestöber von einem Autofahrer angehalten, der darauf besteht, dass ich mit ihm und seinen Freunden essen soll. Er heißt Cao, hat eine schicke Lederjacke an und ist etwa vierzig Jahre alt. Er macht einen sehr netten Eindruck, also sage ich zu. Als ich im Restaurant ankomme, wartet er schon mit drei Herren und einer Dame auf mich, und er stellt mich ihnen so überschwänglich vor, dass man den Eindruck bekommen könnte, wir wären alte Freunde.
    Das Essen ist köstlich: Es gibt Erdnusshuhn, scharf angebratene Rapssprossen, in Chilisoße gekochten Fisch, doppelt gebratenes Schweinefleisch und Mantou-Brötchen. Ich genieße die Wärme, schütte Cola in mich hinein und erzähle dies und das aus meinem Wanderleben. Alle sind sehr höflich und interessiert. Und plötzlich holt Cao in aller Seelenruhe ein kleines Stanniolpäckchen aus seiner Jackentasche, faltet es vorsichtig auseinander, bringt ein weißes Pulver zum Vorschein und lässt es mit einer geübten Bewegung in seiner Nase verschwinden.
    Ein seliges Lächeln macht sich auf seinem Gesicht breit und ich bekomme vor Überraschung meinen Satz nicht zu Ende.
    Die einzigen Menschen, die ich in China bisher in der Öffentlichkeit beim Drogenkonsum beobachtet habe, waren Ausländer. Am Anfang habe ich mich oft gefragt, warum bestimmte Straßenkreuzungen in den Beijinger Vergnügungsvierteln von afrikanischen Drogendealern nur so

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