The New Dead: Die Zombie-Anthologie
finden konnte.
Als sie ihn mir hinhielt, fragte sie: „Was passiert mit diesem Mädchen?“
„Ich werde sie aufwecken“, erklärte ich und schlüpfte an ihr vorbei zurück in den Kühlraum. Ich war viel zu erpicht darauf, in meiner Neuerwerbung zu schwelgen, als dass ich mich jetzt ausfragen ließ. Als ich mich neben der Kiste hinkniete und nach vorn beugte, stieß mir Grummeline ihren Zeigefinger in die Schulter, damit ich ihr meine Aufmerksamkeit zuwandte. Vor ihrem Mund bildeten sich Wölkchen, als sie sagte. „Sag, warum du das Mädchen brauchst.“
„Ich will wissen, wie es ist, tot zu sein. Das will ich sie fragen.“
Grummeline stieß ein Schnauben aus. „Frag Milo. Da ist nichts. Keine Erinnerung.“
Ich schob den Schraubenzieher in den Spalt zwischen der Kiste und dem daraufgenagelten Deckel und schlug mit der Handinnenflächegegen den Griff, um den Schraubendreher tiefer hineinzustoßen. „Und ich will sie auf eine Reise mitnehmen“, sagte ich. Von oben drückte ich auf den Griff, und die Nägel machten ein kreischendes Geräusch, als ich den Deckel aufhebelte.
„Vielleicht will sie nicht mit dir sein.“
„Sie kann machen, was sie will“, erklärte ich, „aber ich kann dafür sorgen, dass ihr nichts passiert.“
„Dass ihr nichts passiert ? Was bedeutet das für eine Tote, hä?“, fragte Grummeline.
Ich antwortete nicht, da ich jetzt keuchend und mit offenem Mund atmete. Als ich den Deckel ausreichend gelockert hatte, schob ich meine Finger darunter. Das billige Balsaholz knackte und gab nach. Da war Dolly. Sie war in einen mit einem Reißverschluss versehenen durchsichtigen Plastiksack gehüllt, durch den ich sie nicht besonders deutlich erkennen konnte. Dolly lag auf einem Bett aus Eispackungen. Weitere Packungen waren um sie herum aufgehäuft und auf ihren Gliedmaßen und ihrem Bauch verteilt worden. Ich strich die zur Seite, die ihr Gesicht bedeckten, und zog an dem Reißverschluss, bis er nachgab.
Da war Dollys Gesicht – weiße Lippen, bläulich verfärbte Haut, papierdünne Augenlider, die sich über den gerundeten Halbmonden ihrer Augen wölbten. Eine schlafende Schönheit, obwohl der Frost ihr dunkles Haar zu unschönen Büscheln hatte erstarren lassen. Doch sein Glanz würde zurückkehren. Das wusste ich.
„Jesus“, seufzte Grummeline. „Du wirst mit diesem Kadaver doch nicht herumspielen?“
Ich stand wieder auf und überragte sie um ein gutes Stück. Den Schraubenzieher hielt ich fest umklammert. Ich ließ zu, dass Grummeline hörte, wie meine Zähne klapperten, und konnte sehen, wie ihr Blick zuckte. Sie fragte sich wohl gerade, wie sie sich in eine derartige Situation hatte bringen können, allein in einem Kühlraum mit einem fremden Mann und einer Leiche in einer Kiste.
Hinter ihr kam der tote Milo mit offen stehendem Mund in den Kühlraum geschlurft. Er hob eine schlaffe Hand bis in Hüfthöhe und wedelte damit in unsere Richtung. Ich reichte Grummeline den Schraubenzieher mit dem Griff voran.
„Es gibt schon einige kranke Menschen auf der Welt“, erklärte ich ihr. „Besonders jetzt. Wissen Sie, bevor dieser ganze Ärger anfing, war ich Rettungssanitäter im Bereich Port City. Als alles zusammenbrach, tja, Sie können sich wohl vorstellen, welche Verzweiflung sich da breitmachte. Die Menschen hatten Angst zu sterben. Die Menschen haben immer Angst gehabt zu sterben. Aber bei manchen Menschen wird diese Angst so groß und sie sind so verzweifelt, dass sie aufgeben. Schauen Sie es sich an.“
Ich zog den Reißverschluss des Plastiksacks bis zu Dollys Bauchnabel auf. Sie war nackt wie ein Neugeborenes und ihre kleinen Brüste fast jungenhaft flach, weil sie auf dem Rücken lag, doch ich schenkte ihnen nur ein rein klinisches Interesse. Was ich Grummeline zeigen wollte, befand sich an Dollys Unterarmen. Ganz vorsichtig hob ich den linken Arm an und drehte ihn so weit, dass man die Innenseite gut sehen konnte. Ein einzelner violetter Streifen zog sich von ihrem Handgelenk bis zur Armbeuge, ein dreißig Zentimeter langer, vorsätzlich zugefügter Schnitt. Die Ränder kräuselten sich, doch die Wunde selbst war jetzt blutleer. Dollys Finger zuckten, während ich ihre Hand hielt. Sie war so eiskalt, dass meine Hände bei der Berührung ihrer Haut brannten.
Ich sagte: „Stellen Sie sich vor, wie verzweifelt sie gewesen sein muss, um sich so etwas anzutun. Ich verstehe diese Form der Verzweiflung nicht, aber als ich sie fand, wusste ich sofort, dass sie
Weitere Kostenlose Bücher