The Road of the Dead
dann ist sie weg, ihre Schritte verklingen die Treppe hinab.
Cole spürt nichts. Als er sich rückwärts durchs Zimmer bewegt und die Tür abschließt – die Flinte weiter auf Quentin gerichtet –, spüre ich, wie sein Herz schwarz wird. Er leert sich aus, befreit sich von allem, auch von mir. Und als er wieder zurück ist und vor dem Schreibtisch steht, empfinde ich fast nichts mehr.
Quentin sitzt nur da und sieht, völlig ungerührt, zu ihm auf.
»Sie werden mich nicht umbringen«, sagt er und lächelt beinahe dabei.
»Nein«, sagt Cole zu ihm. »Ich werde Sie nicht umbringen. Aber Sie werden sich wünschen, ich hätte es getan.«
Danach starben die Empfindungen vollkommen ab. Ich schwebte noch eine kurze Zeit lang mit Cole, lange genug, um zu sehen, wie er den Schreibtisch packte und ihn von Quentin wegzog, doch ich war nicht mehr
bei
ihm. Ich empfand nichts. Ich schwebte nur, schaute bloß noch hinab, beobachtete nur, was geschah. Und dann hörte auch das auf und Cole war weg. Ich schwebte nicht mehr und ich schaute nicht mehr hinab – ich saß gefesselt in einer regenfeuchten Scheune und schaute durch die Risse in den schwarzen Wänden hinaus auf die Scheinwerfer eines Ford Transit, der draußen auf den Hof gejagt kam.
|298| Neunzehn
I ch hörte, wie der Lieferwagen über den Hof schlingerte, rutschte und in dem regennassen Matsch auf und ab sprang, ich sah den grellen Strahl der Scheinwerfer durch die Risse in der Scheunenwand flimmern und den Heuboden in ein flackerndes hellweißes Licht tauchen. Für einen kurzen Moment schwebte ich wieder … schwebte durch die Lichter zurück … durch die Risse in der Wand … hinaus in die dicke schwarze Luft des Hofs. Und in diesem Moment sah ich alles. Ich sah Red hinter der Windschutzscheibe des Ford Transit – sein grinsendes Gesicht, seinen schmuddeligen roten Anzug und seine falschen Augen, die glasig wirkten vor lauter Besessenheit. Ich sah, wie die Scheinwerfer über den Hof schwenkten und kurze Bilder stehenden Regens aufblitzen ließen. Ich sah die Scheune, die Nebengebäude, die immer wieder veränderten Anbauten. Tonnen, Kisten und leere Säcke. Ich sah das vom Regen triefende Moor hinter dem Hof, die vom Sturm gepeitschten Bäume, die aschgrauen Wiesen, die Berge in der Ferne, die sich aus einer Ebene der Dunkelheit erhoben …
Und dann plötzlich waren die Scheinwerfer verschwunden, die Scheune war wieder schwarz und ich zurück im Fleisch meines |299| Körpers. Meine Lunge war angefüllt von dem gasigen Gestank nach Verwesung. Der Geruch war so intensiv, dass ich ihn schmecken konnte. Er roch scheußlich, machte mich krank, war wie eine giftige Wolke in meinem Magen. Es war der Geruch toter Dinge, verrottender Dinge … der Geruch schrecklicher Träume. Ich wusste, das hatte nichts zu
bedeuten
– es stank eigentlich nur nach Abgasen und aufgewühltem Matsch. Aber dieses Wissen half mir nicht. Mein Magen dachte nicht rational.
Ich atmete gleichmäßig und versuchte ruhig zu bleiben, doch es gelang mir nicht. Plötzlich begann mein Magen zu rebellieren und ich erbrach mich auf mich selbst.
Der Lieferwagen hielt vor dem Farmhaus. Ich konnte ihn nicht sehen und es war schwer, in dem unablässigen Tosen des Regens irgendetwas zu hören. Doch meine Sinne waren vollgepumpt mit blinder Wahrnehmung und Angst und ich hörte, was ich hören musste: den Motor im Leerlauf, den heulenden Wind, den absterbenden Motor. Für einen Moment nahm der Regen zu und ertränkte alles bis auf meinen eigenen Herzschlag, dann jagte eine Windbö über den Hof und der Regen ließ wieder nach.
Ich schloss die Augen und horchte auf die Geräusche vom Hof: eine Hupe, die lange und laut ertönte, die Tür des Lieferwagens, die aufglitt, zuschlug, noch eine Tür, die sich öffnete – die Tür vom Farmhaus –, dann Stimmen, die durch den Regen riefen. Hässliche Stimmen, mürrisch und derb.
»Wer ist da?«
»Red. Wo ist er?«
»Hä?«
»Der
Junge
, verdammt. Henry will den Jungen. Wo ist er?«
|300| »In der Scheune.«
»Komm raus. Und bring ein Stück Seil und eine Taschenlampe mit.«
Die nächsten paar Minuten saß ich nur in der Dunkelheit und lauschte auf den fallenden Regen – das Prasseln auf dem Dach, das leise Tropftropf auf dem staubigen Fußboden, das schwere Platschen draußen im Matsch. Es war nicht dasselbe, wie zu Hause dem Regen zu lauschen. Es gab mir kein Glücksgefühl mehr.
Ich wollte, dass es aufhörte.
Ich
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