The Stand. Das letze Gefecht
das Kleid nicht noch einmal. Statt dessen sprach sie von anderen Dingen - heiter, fast kokett. Sie hatte an der High School einen Vortragswettbewerb gewonnen und war daraufhin zum staatlichen Wettbewerb von Arkansas geschickt worden, und dort war ihr der knappe Slip heruntergerutscht und um die Knöchel liegengeblieben, als sie gerade den brausenden Höhepunkt von Shirley Jacksons »Die Teufelsbraut« erreicht hatte. Sie erzählte von ihrer Schwester, die als Mitglied einer Missionarsgruppe der Baptisten Vietnam besucht hatte und nicht mit einem oder zwei Adoptivkindern zurückgekommen war, sondern gleich mit dreien. Von einem Campingausflug, den sie und John vor drei Jahren gemacht hatten, und wie ein wütender Elch in Hitze sie auf einen Baum gejagt und den ganzen Tag da oben festgehalten hatte.
»Wir saßen auf dem Ast und haben geturtelt«, sagte sie schläfrig, »wie ein paar High-School-Kids auf dem Balkon. Meine Güte, war er in einem Zustand, als wir wieder runter konnten... Er... wir... haben uns geliebt... so sehr geliebt... Liebe sorgt dafür, daß die Welt sich dreht, das war immer meine Meinung... nur die Liebe ermöglicht es Männern und Frauen, in einer Welt aufrecht zu stehen, in der die Schwerkraft sie immer nach unten zieht... niederdrücken will... damit sie kriechen... wir haben... uns so sehr geliebt...«
Sie döste ein und schlief, bis er sie wieder weckte, indem er den Vorhang zurückzog oder vielleicht nur auf eine quietschende Diele trat; sie war im Delirium.
» John! « schrie sie jetzt mit verschleimter Stimme. » O John, ich kapier' diese elende Lenkradschaltung nie! John, du mußt mir helfen! Du mußt... «
Ihre Worte verstummten in einem langen, rasselnden Keuchen, das er zwar nicht hören konnte, aber trotzdem spürte. Ein dünnes Rinnsal dunkelroten Blutes floß ihr aus einem Nasenloch. Sie fiel aufs Kissen zurück, ihr Kopf schnappte einmal, zweimal, dreimal hin und her, als hätte sie eine lebenswichtige Entscheidung getroffen und die Antwort war nein.
Dann lag sie still.
Nick legte die Hand schüchtern auf ihren Hals, die Innenseite des Handgelenks zwischen die Brüste. Nichts. Sie war tot. Die Uhr auf dem Nachttisch tickte gewichtig, aber keiner der beiden hörte sie. Er legte einen Moment den Kopf auf die Knie und weinte auf die ihm eigene stumme Weise. Du kannst nicht mehr machen als die Tränen kurz rauslassen, hatte Rudy einmal zu ihm gesagt, aber in einer Seifenopernwelt macht sich das gut .
Er wußte, was als nächstes kam, wollte es aber nicht tun. Es war nicht fair, schrie ein Teil von ihm. Es war nicht seine Sache. Aber da sonst niemand da war - möglicherweise im Umkreis von Meilen nicht -, mußte er es wohl oder übel erledigen. Entweder das, oder er mußte sie hier liegen und verwesen lassen, und das brachte er nicht fertig. Sie war freundlich zu ihm gewesen, und er hatte nicht viele Menschen getroffen, von denen er das sagen konnte, ob krank oder gesund. Er sollte wohl besser gleich damit anfangen. Je länger er hier saß und nichts tat, desto mehr würde ihm vor der Aufgabe grauen. Er wußte, wo das Bestattungsinstitut Curtis war - drei Blocks weiter, einen Block westlich. Und draußen war es sicher heiß.
Er zwang sich, aufzustehen und zum Schrank zu gehen, und er hoffte, das weiße Flitterwochenkleid wäre nur Teil ihres Deliriums gewesen. Aber es war da. Es war durch die Jahre etwas vergilbt, aber er erkannte es trotzdem. An den Spitzen. Er holte es heraus und legte es auf die Bank am Fußende des Bettes. Er betrachtete das Kleid, betrachtete die Frau und dachte: Heute wird es ihr mehr als nur etwas zu groß sein. Die Krankheit, was auch immer sie sein mochte, war grausamer zu ihr gewesen, als sie geahnt hatte... aber das ist wohl besser so.
Er ging widerstrebend zu ihr und zog ihr das Nachthemd aus. Als sie nackt vor ihm lag, verschwand das Grauen, und er empfand nur Mitleid - ein Mitleid, das so tief in ihm saß, daß es schmerzte und er wieder zu weinen anfing, während er ihren Leichnam wusch und ankleidete, so wie sie auf dem Weg zum Lake Ponchetrain gekleidet gewesen war. Und als sie angezogen war wie an diesem besagten Tag, nahm er sie auf die Arme und trug sie in Spitzen, oh, in Spitzen, zum Bestattungsinstitut; er trug sie wie ein Bräutigam, der seine Braut auf den Armen über eine endlose Schwelle trug.
26
Eine Studentenvereinigung, möglicherweise die Students for a Democratic Society oder die Young Maoists, hatte in der Nacht vom 25. auf
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