The Stand. Das letze Gefecht
könnte den Atem des dunklen Mannes im Nacken spüren.
Er wollte gerade zur Tür springen, sie aufreißen und nach oben fliehen, egal welche Folgen es hatte, als Tom ihm die Entscheidung abnahm. Plötzlich war der Arm um Nicks Schulter verschwunden. Im nächsten Moment knallte die Tür des Sturmkellers auf, grelles, helles Licht strömte herein, so daß Nick eine Hand heben und das gesunde Auge abschirmen mußte. Er erhaschte gerade noch einen geisterhaften, wabernden Blick auf Tom Cullen, der die Treppe hinauftaumelte, dann folgte er ihm und ertastete sich den Weg durch die Helligkeit. Als er oben ankam, hatte sich das Auge an das grelle Licht gewöhnt.
Nick war sicher, daß das Licht nicht so hell gewesen war, als sie nach unten gegangen waren. Daß er recht hatte und warum, erfuhr er Augenblicke später. Das Dach war von der Scheune gerissen worden. Es schien beinahe chirurgisch exakt amputiert worden zu sein; so sauber, daß keinerlei Splitter zu sehen waren und kaum etwas auf dem Boden lag, den das Dach einst abgedeckt hatte. Drei Trägerbalken hingen an der Seite des Schobers herunter; die Wände waren kahl, fast alle Bretter hatte der Sturm weggerissen. Nick hatte den Eindruck, im Skelett eines prähistorischen Ungeheuers zu stehen.
Tom hatte nicht haltgemacht, um den Schaden zu begutachten. Er floh aus der Scheune, als säße ihm der Teufel im Nacken. Er drehte sich nur einmal um; seine Augen waren groß und spiegelten auf fast lächerlich-komische Weise sein Entsetzen wider. Nick konnte einem Blick über die Schulter in den Sturmkeller nicht widerstehen. Die Treppe erstreckte sich hinunter in die Schatten, die Stufen waren aus altem, rissigen Holz, jede hing in der Mitte durch. Er konnte verstreutes Stroh auf dem Boden sehen und zwei Händepaare, die aus, dem Schatten herausgriffen. Ratten hatten die Finger bis auf die Knochen abgenagt.
Falls noch jemand da unten war, konnte Nick ihn nicht sehen. Er wollte es auch nicht.
Er folgte Tom hinaus.
Tom stand zitternd bei seinem Fahrrad. Nick staunte kurz über die verrückte Launenhaftigkeit des Tornados, hatte er doch die halbe Scheune weggerissen, aber die Räder verschmäht, und dann sah er, daß Tom weinte. Nick ging zu ihm und legte ihm einen Arm um die Schultern. Tom blickte mit großen Augen zum schiefhängenden Tor der Scheune hinüber. Nick machte mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis. Tom sah ihn kurz an, aber das Lächeln, das Nick erwartet hatte, blieb aus. Tom starrte einfach weiter in die Scheune. Seine Augen hatten einen leeren, starren Blick, der Nick ganz und gar nicht gefiel.
»Da war einer drin«, sagte Tom unvermittelt.
Nick lächelte, aber das Lächeln lag ihm kalt auf den Lippen. Er hatte keine Ahnung, wie gut ihm dieses gespielte Lächeln gelang, vermutete aber, daß es beschissen aussah. Er deutete auf Tom, auf sich selbst und machte dann mit der Handkante eine scharfe, einschneidende Bewegung durch die Luft.
»Nein«, sagte Tom. » Nicht nur wir. Noch jemand. Jemand, der aus dem Tornado gekommen ist.«
Nick zuckte die Achseln.
»Können wir gehen? Bitte.«
Nick nickte.
Sie schoben die Fahrräder zum Highway zurück und benützten dazu die unregelmäßige Schneise entwurzelten Grases und aufgewühlten Bodens, die der Tornado hinterlassen hatte. Er hatte auf der Westseite von Rosston die Spur der Zerstörung begonnen, war in West-Ost-Richtung über die US 183 gepflügt, wobei er Leitplanken und Stromkabel wie Klaviersaiten in die Luft gewirbelt hatte, hatte die Scheune links gestreift und sich direkt dem Wohnhaus zugewandt, das davor stand - gestanden hatte . Vierhundert Meter weiter hörte seine Bahn durch das Feld abrupt auf. Allmählich brachen die Wolken auf (obwohl es noch leicht und erfrischend nieselte), die Vögel zwitscherten sorglos.
Nick sah, wie die Muskelstränge unter Toms Hemd arbeiteten, als er das Rad über den Wirrwarr der Zaundrähte am Rand des Highways hob. Der Bursche hat mir das Leben gerettet, dachte er. Bis heute habe ich in meinem ganzen Leben noch keinen Wirbelsturm gesehen. Hätte ich Tom in May zurückgelassen, wie ich es eigentlich vorgehabt hatte, dann wäre ich jetzt mausetot.
Er hob sein Rad über den Drahtwirrwarr, klopfte Tom auf die Schulter und lächelte ihm zu.
Wir müssen jemand anderen finden, dachte Nick. Wir müssen , damit ich ihm danken kann. Und ihm meinen Namen sagen. Er kennt nicht einmal meinen Namen, weil er nicht lesen kann. Nick stand einen Augenblick da und dachte
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