The Stand. Das letze Gefecht
sie zu tun hatte. »Verschwindet!« schrie sie. »Ja, es sind Hühner, aber sie sind für meine Gäste! Und jetzt macht, daß ihr fortkommt!«
Sie zogen sich zurück. Ihre kleinen Augen schienen unruhig zu werden. Und plötzlich waren sie verschwunden wie Rauch, der sich in der Luft auflöst. Ein Wunder , dachte sie, Freude erfüllte sie, sie lobte den Herrn. Dann wurde ihr plötzlich kalt.
Irgendwo weit entfernt im Westen, jenseits der Rockies, die nicht einmal am Horizont zu sehen waren, schienen sich glitzernde Augen plötzlich weit zu öffnen und forschend nach ihr suchen. So deutlich, als würden die Worte laut gesprochen, hörte sie ihn sagen: Wer ist dort? Bist du es, alte Frau?
»Er weiß, daß ich hier bin«, flüsterte sie in der Nacht. »Hilf mir, o Herr. Hilf mir, hilf uns allen.«
Sie zog den Sack hinter sich her und machte sich auf den Heimweg. Sie kamen zwei Tage später, am 24. Juli. Was Abbys Vorbereitungen anbetraf, war sie nicht so weit, wie ihr lieb gewesen wäre; sie war wieder einmal kreuzlahm und schwach, konnte nur mit dem Stock von einem Ort zum ändern hinken und kaum Wasser aus dem Brunnen heraufpumpen. Am Tag, nachdem sie die Hühner geschlachtet und die Wiesel in die Flucht geschlagen hatte, war sie am Nachmittag lange und erschöpft eingeschlafen. Sie träumte, dass sie sich auf einem hohen, kalten Paß mitten in den Rockies befand, westlich der Kontinentalscheide. Highway 6 schlängelte sich zwischen hohen Felswänden hindurch, die diese Kluft den ganzen Tag über in Schatten hüllten; nur von elf Uhr fünfundvierzig am Vormittag bis gegen zwölf Uhr fünfzig am Nachmittag schien die Sonne in die Schlucht. Aber in ihrem Traum herrschte kein Tageslicht, sondern undurchdringliche Neumond-Dunkelheit. Irgendwo heulten Wölfe. Und plötzlich öffnete sich ein Auge in der Dunkelheit, das gräßlich von einer Seite zur anderen blickte, während der Wind einsam durch die Pinien und blauen Bergfichten heulte. Es war er, und er suchte nach ihr.
Sie war aus diesem langen, tiefen Schlaf erwacht und hatte sich nicht so ausgeruht wie vorher gefühlt, und sie hatte wieder zu Gott gebetet, er möge sie in Frieden lassen oder ihr wenigstens die Richtung zeigen, in die er sie schicken wollte.
Norden, Süden oder Osten, Herr, und ich werde Hemingford verlassen und Dein Loblied singen. Aber nicht nach Westen, nicht zum dunklen Mann.
Die Rockies sind nicht groß genug zwischen ihm und uns. Die Anden wären nicht groß genug.
Aber das spielte keine Rolle mehr. Früher oder später, wenn der Mann sich stark genug fühlte, würde er nach denen suchen kommen, die sich gegen ihn stellten. Wenn nicht dieses Jahr, dann im nächsten. Die Hunde waren dahin, die Seuche hatte sie ausgerottet, aber die Wölfe lebten noch in den Hochländern der Berge und waren bereit, dem Dämon Satans zu dienen.
Aber nicht nur die Wölfe würden ihm dienen.
Am Morgen des Tages, an dem ihre Gäste endlich ankamen, hatte sie um sieben Uhr mit der Arbeit angefangen; sie hatte Holzscheite geschleppt, immer zwei auf einmal, bis der Herd heiß und die Holzkiste voll war. Gott hatte ihr einen kühlen, wolkenverhangenen Tag beschert, den ersten seit Wochen. Heute abend könnte es regnen. Ihre Hüfte, die sie sich 1958 gebrochen hatte, prophezeite es jedenfalls.
Sie backte ihre ersten Kuchen mit den eingemachten Früchten aus der Speisekammer und frischem Rhabarber und Erdbeeren aus dem Garten. Die Erdbeeren waren gerade reif, Gott sei gelobt, und es war gut zu wissen, daß sie nicht verderben würden. Allein das Kochen bewirkte, daß sie sich besser fühlte, denn Kochen war Leben. Ein Blaubeerkuchen, zwei Kuchen mit Rhabarber und Erdbeeren, ein Apfelkuchen. Ihr Duft zog durch die morgendliche Küche. Sie stellte sie zum Abkühlen auf die Fensterbank, wie sie es ihr Leben lang getan hatte.
Sie gab sich große Mühe mit dem Teig, obwohl es ohne frische Eier gar nicht so leicht war - dabei war sie im Hühnerhaus gewesen; es war ihre eigene Schuld. Eier oder nicht, am frühen Nachmittag roch die kleine Küche mit ihrem unebenen Fußboden und dem abgewetzten Linoleum nach Brathühnern. Es war drinnen recht heiss geworden, daher humpelte sie auf die Veranda, um wie jeden Tag zu lesen; dann fächelte sie sich mit ihrem eselsohrigen Exemplar von The Upper Room kühle Luft ins Gesicht.
Die Hühner gelangen ihr so knusprig und gut, wie man es sich nur wünschen konnte. Einer der Burschen konnte hinausgehen und zwei Dutzend frische
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