The Stand. Das letze Gefecht
und aß noch etwas. Das Brot war alt, aber nicht schimmlig-kein Schimmel würde es wagen, in Addie Richardsons Küche sein grünes Gesicht zu zeigen -, und sie fand ein angebrochenes Glas Erdnußbutter. Sie aß ein Erdnußbutterbrot und machte noch eins, das sie in die Tasche ihres Kleides steckte - für den Fall, daß sie später Hunger bekommen sollte.
Jetzt war es zwanzig vor sieben. Sie ging wieder nach draußen, nahm den Sack auf und ging vorsichtig die Verandastufen hinunter. Sie hatte die Federn ordentlich in einen anderen Sack gerupft, aber ein paar waren davongeflogen und hingen jetzt in Richardsons Hecke, die vor Wassermangel vertrocknete.
Abagail seufzte schwer und sagte: »Ich mache mich auf den Weg, Herr. Nach Hause. Ich werde langsam gehen und wohl erst gegen Mitternacht ankommen, aber die Schrift sagt, fürchtet nicht die Schrecken der Nacht noch die Gefahren des Tages. Ich erfülle Deinen Willen, so gut ich kann. Begleite mich auf meinem Weg. Um Jesu willen, Amen.«
Als sie die Stelle erreichte, wo der Asphalt aufhörte und der Sandweg anfing, war es schon dunkel. Grillen zirpten, Frösche quakten an einer Wasserstelle, wahrscheinlich Cal Coodells Tränke. Der Mond würde groß und rot wie Blut aufgehen, bis er höher am Himmel stand.
Sie setzte sich, um sich auszuruhen, und aß ihr Erdnußbutterbrot (sie hätte viel für Johannisbeergelee gegeben, damit es nicht so klebrig schmeckte, aber Addie bewahrte ihr Eingemachtes im Keller auf, und das waren einfach zu viele Stufen). Der Sack stand neben ihr. Sie hatte wieder Schmerzen, und ihre Kraftreserven schienen fast verbraucht, obwohl sie noch zweieinhalb Meilen vor sich hatte... aber sie empfand eine seltsame Heiterkeit. Wie lange war es her, daß sie in der Dunkelheit draußen gewesen war, unter dem Baldachin der Sterne? Sie schienen so hell wie immer, und wenn sie Glück hatte, sah sie vielleicht eine Sternschnuppe und konnte sich etwas wünschen. Eine warme Nacht wie heute, die Sterne und der Mond, der mit seinem roten Liebhabergesicht über den Horizont sah, erinnerten sie an ihre Mädchenzeit mit ihrer Unruhe, ihren Temperamentsausbrüchen und der Verletzbarkeit, als die Zeit des Mysteriums nahte. Oh, auch sie war ein junges Mädchen gewesen. Es gab viele Leute, die das nicht glauben wollten, so wenig wie die Tatsache, daß jeder Mammutbaum einmal ein grüner Schößling war. Aber sie war ein Mädchen gewesen, und zu der Zeit war die kindliche Angst vor der Nacht ein wenig zurückgetreten, und die Angst, die Erwachsene in der Nacht empfinden, wenn alles leise ist und man die Stimme seiner ewigen Seele hören kann, lag noch in der Ferne. In der kurzen Zeit, die dazwischenlag, war die Nacht ein duftendes Rätsel gewesen, eine Zeit, wenn man zum sternenübersäten Himmel hinaufsah und der Brise lauschte, die so berauschende Düfte herantrug, und man fühlte sich dem Herzschlag des Universums nahe, der Liebe und dem Leben. Es erschien, als würde man ewig jung bleiben und - Dein Blut ist in meinen Fäusten.
Sie spürte, wie heftig an dem Sack gezerrt wurde, und zuckte zusammen.
» He !« schrie sie mit ihrer brüchigen alten Stimme. Sie zog den Sack zu sich heran und sah, daß er unten einen Riß hatte.
Dann hörte sie ein leises Knurren. Am Straßenrand, zwischen Schotterböschung und Maisfeld, saß ein großes braunes Wiesel. Es sah sie mit rollenden Augen an, in denen sich das rote Licht des Mondes spiegelte. Dann kam noch eins. Noch eins. Noch eins.
Sie sah zur anderen Straßenseite und stellte fest, daß dort eines neben dem anderen hockte. Sie witterten die Hühner im Sack. Wie hatten sich so viele um sie herumschleichen können? fragte sie sich mit wachsender Angst. Sie war einmal von einem Wiesel gebissen worden; sie hatte den Arm unter die Veranda des großen Hauses gestreckt, um einen roten Gummiball zu holen, der dorthin gerollt war, und etwas, das sich wie ein Mundvoll Nadeln angefühlt hatte, hatte sich in ihren Unterarm verbissen. Die unerwartete Tücke, der Schmerz, rotglühend und plötzlich und grell, hatte sie aus dem täglichen Einerlei gerissen, und das Erschrecken hatte ebenso wie die körperlichen Schmerzen dazu geführt, daß sie schrie. Sie hatte den Arm zurückgezogen, und das Wiesel war daran hängengeblieben; ihr eigenes Blut war ihm über das braune Fell geperlt, und der Körper des Wiesels hatte in der Luft hin und her gezuckt wie der einer Schlange. Sie hatte geschrien und mit dem Arm gerudert, aber das
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