The Stand. Das letze Gefecht
nicht mehr.
Statt dessen träumte er von einer alten Frau. In diesen Träumen sah er sich vor Angst und Haß fast gelähmt auf dem Bauch in einem Maisfeld liegen. Er hörte Krähenschwärme krächzen. Vor ihm war ein Vorhang von breiten, schwertähnlichen Maisblättern. Er schob mit zitternder Hand die Blätter zur Seite, was er nicht wollte, aber nicht verhindern konnte, und sah hindurch. Mitten auf einer Lichtung erblickte er ein altes Haus. Das Haus stand auf Blöcken oder Stützen oder so was. Daneben ein Apfelbaum mit einer Reifenschaukel an einem Ast. Auf der Veranda saß eine alte schwarze Frau, die Gitarre spielte und einen altmodischen Gospelsong sang. Der Song war von Traum zu Traum verschieden, aber Müll kannte die meisten, weil er einmal eine Frau gekannt hatte, die Mutter eines Jungen namens Donald Merwin Elbert, die viele solcher Songs während der Hausarbeit gesungen hatte.
Dieser Traum war ein Alptraum, aber nicht nur, weil am Ende etwas überaus Entsetzliches geschah. Zuerst hätte man sagen können, daß der ganze Traum überhaupt kein erschreckendes Element enthielt. Mais? Blauer Himmel? Alte Frau? Reifenschaukel? Was konnte daran beängstigend sein? Alte Frauen verspotteten einen nicht und warfen keine Steine, schon gar nicht so alte Frauen, die hausbackene Pfaffenlieder wie »In That Great Getting-Up Morning« und »Bye-and-Bye, Sweet Lord, Bye-and-Bye« sangen. Es waren die Carley Yates' dieser Welt, die mit Steinen warfen. Aber lange bevor der Traum zu Ende ging, war er vor Angst wie gelähmt, als wäre es keine alte Frau, die er vor sich sah, sondern ein geheimnisvolles, ein kaum verborgenes Licht, das jeden Augenblick um sie herum aufleuchten konnte, um sie mit einem so strahlenden Glanz zu umspielen, daß die brennenden Öltanks von Gary wie Kerzen im Wind wirken würden - ein so grelles Licht, daß es seine Augen zu Schlacken verbrennen würde. Und immer, wenn er im Traum an diesen Punkt gelangte, hatte er nur einen Gedanken: Oh, bitte, bring mich hier weg, ich will mit dieser alten Henne nichts zu tun haben, bitte, o bitte, bring mich raus aus Nebraska!
Und dann hörte das Lied, das sie gerade spielte, mit einem scheppernden Mißklang auf. Sie sah direkt zu der Stelle, wo er durch die Lücke im dichten Blattwerk spähte. Ihr Gesicht war alt und zerfurcht, das Haar so dünn, daß er den braunen Schädel sehen konnte, aber ihre Augen waren hell wie Diamanten und erfüllt von dem Licht, das er fürchtete.
Mit einer alten, brüchigen, aber trotzdem kräftigen Stimme rief sie: Wiesel im Mais! , und er spürte die Veränderung in sich, sah an sich hinab und stellte fest, daß er ein Wiesel geworden war, ein pelziges braunschwarzes schleichendes Ding; seine Nase war lang und spitz geworden, die Augen waren zu kleinen schwarzen Perlen geschmolzen, die Finger in Klauen verwandelt. Er war ein Wiesel, ein feiges Nachtlebewesen, dessen Beute die Schwachen und Kleinen waren.
Dann fing er an zu schreien, und schließlich weckte ihn sein eigenes Geschrei, und er erwachte schweißüberströmt und mit hervorquellenden Augen. Er huschte mit den Händen über den Körper und vergewisserte sich, daß alle menschlichen Teile noch da waren. Als Abschluß seiner panischen Inspektion griff er sich an den Kopf, um sicherzustellen, daß es noch ein menschlicher Kopf war und nicht etwas Langes, Glattes, Stromlinienförmiges, pelzig und wie eine Gewehrkugel geformt.
Er legte vierhundert Meilen durch Nebraska in drei Tagen zurück; Entsetzen mit hoher Oktanzahl war sein Treibstoff. In der Nähe von Julesburg betrat er Colorado, und der Traum verblaßte und nahm die Farbe eines Sepiadrucks an.
(Was Mutter Abagail anbetraf, so wachte sie in der Nacht des 15. Juli auf - kurz nachdem der Mülleimermann nördlich von Hemingford Home vorbeigekommen war -, fror und empfand ein Gefühl von Mitleid und Angst zugleich, obwohl sie nicht wußte, für wen. Sie glaubte, daß sie von ihrem Enkel Anders geträumt haben könnte, der im Alter von nur sechs Jahren einem sinnlosen Jagdunfall zum Opfer gefallen war.)
Am 18. Juli hatte Mülli südwestlich von Sterlin, Colorado, noch immer ein paar Meilen von Brush entfernt, The Kid getroffen.
Müll wachte auf, als sich die Dämmerung herabsenkte. Trotz der Kleidungsstücke, die er über die Fenster gehängt hatte, war es in dem Mercedes heiß geworden. Sein Hals war ein ausgetrockneter Brunnenschacht, den man mit Schmirgelpapier abgerieben hatte. Seine Schläfen pochten und
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