The Stand. Das letze Gefecht
gesagt?
Unten waren nur zwei Zimmer. Das eine war ein Schlafzimmer, so schlicht wie eine Mönchszelle. Das andere war ein Arbeitszimmer. Dort standen ein Schreibtisch, ein Sessel, ein Papierkorb und ein Bücherregal. Auf der Schreibtischplatte lagen viele lose Zettel, die sie müßig durchsah. Die meisten sagten ihr nicht viel - es waren wohl Nicks Äußerungen während eines Gesprächs ( wahrscheinlich schon, aber sollten wir ihn nicht fragen, ob das auch einfacher geht? stand auf einem). Auf anderen hatte er verschiedene Gedanken notiert. Einige erinnerten sie an die umrandeten Stellen in Harolds Hauptbuch, seine Wegweiser zu einem besseren Leben, wie er sie mit einem sarkastischen Lächeln genannt hatte.
Auf einem stand: Muß mit Glen über Volkswirtschaft reden. Weiss einer von uns, wie Handel anfängt? Warenknappheit? Ein veränderter Markt? Individuelle Fähigkeiten! Das mag ein Schlüsselwort sein. Was ist, wenn Brad Kitchner plötzlich nicht mehr umsonst arbeiten will? Oder der Doktor? Womit sollten wir ihn bezahlen? Hmmm. Auf einem anderen: Schutz der Gemeinschaft ist ein zweischneidiges Schwert.
Auf einem anderen: Immer wenn wir über Recht und Gesetz reden, habe ich Alpträume und denke an Shoyo. Ich sah sie sterben. Ich sah, wie Childress sein Essen durch die Zelle warf. Das Gesetz, das Gesetz, wie machen wir es nur mit dem gottverdammten Gesetz? Todesstrafe. Lustiger Gedanke. Wenn Brad den Strom erst wieder eingeschaltet hat, wie lange wird es dann dauern, bis jemand einen elektrischen Stuhl fordert?
Sie wandte sich von den Zetteln ab - widerwillig. Es war faszinierend, die Papiere eines Mannes durchzusehen, der nur in Schriftzeichen denken konnte (einer ihrer College-Professoren pflegte zu sagen, daß der Denkprozeß ohne Artikulation nie vollständig sein könne), aber sie hatte ihr Ziel hier unten schon fast erreicht. Nick war nicht hier, niemand war hier. Noch länger zu bleiben hieße, das Glück herauszufordern.
Sie ging wieder nach oben. Harold hatte ihr gesagt, daß sie sich wahrscheinlich im Wohnzimmer versammeln würden. Es war ein riesiges, mit einem dicken weinroten Teppich ausgelegtes Zimmer, das von einem freistehenden Kamin beherrscht wurde, dessen Abzug wie eine Felssäule durch die Decke führte. Die Westwand war ein einziges großes Panoramafenster, durch das man eine herrliche Aussicht auf die Flatirons hatte. Sie kam sich den Blicken ausgesetzt wie ein Käfer an der Wand vor. Sie wußte, daß die Außenseite der Thermoplexscheibe isoliert war, so daß man draußen ein Bild wie in einem Spiegel sah, aber der psychologische Eindruck war trotzdem, entblößt zu sein. Sie wollte es schnell hinter sich bringen. An der Südseite des Zimmers fand sie, was sie suchte, einen großen Schrank, den Ralph nicht ausgeräumt hatte. Im Schrank hingen Mäntel, und in der hinteren Ecke lagen Schuhe und Wollsachen und Handschuhe fast einen Meter hoch aufgestapelt.
Rasch nahm sie die Lebensmittel aus der Einkaufstasche. Sie waren nur Tarnung und bildeten nur eine Schicht. Unter den Dosen mit Tomatenpüree und Sardinen stand der Hush-Puppies-Schuhkarton mit Dynamit und Walkie-talkie darin.
»Wird es auch funktionieren, wenn ich den Karton in den Schrank stelle?« hatte sie gefragt. »Wird die zusätzliche Wand die Wucht der Explosion nicht mindern?«
»Nadine«, hatte Harold geantwortet, »wenn das Gerät funktioniert, und ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln, dann zerstört es das ganze Haus und die nähere Umgebung. Du mußt es irgendwohin stellen, wo es vor der Sitzung nicht gefunden wird. Ein Schrank wäre gut. Die zusätzliche Wand wird wie Schrapnellsplitter wirken. Ich verlasse mich ganz auf dein Urteil, Liebes. Es wird sein wie in dem alten Märchen vom tapferen Schneiderlein. Sieben auf einen Streich. Nur haben wir es in diesem Fall mit sieben politischen Fliegen zu tun.«
Nadine stellte den Schuhkarton in die Schrankecke und versteckte ihn unter den Sachen. Dann machte sie die Schranktür zu. Da. Fertig. So oder so.
Sie verließ rasch das Haus, ohne sich noch einmal umzusehen, und versuchte die innere Stimme zu ignorieren, die Stimme, die ihr sagte, sie solle umkehren und die Drähte zwischen den Sprengkapseln und dem Walkie-talkie lösen. Denn war es nicht Wahnsinn, der vor ihr lag, vielleicht weniger als zwei Wochen entfernt? War Wahnsinn nicht die logische Konsequenz?
Sie stellte die Tasche mit den Lebensmitteln auf den Gepäckträger der Vespa und trat den Starter.
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