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The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

Titel: The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shane O'Doherty
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ich verbittert war, weil wir nicht mitmachten.
    Es bildete sich noch ein weiterer, noch dringlicherer Protest in Derry und anderen Teilen Nordirlands heran, hauptsächlich in der Unterschicht und den Ghettos. Dieser betraf das grundlegende Problem des Haus- und Wohnungsmangels für Katholiken und den sehr schlechten Zustand des überhaupt verfügbaren Wohnraums. Dies lieferte Zündstoff für Straßenunruhen und die Bürgerrechtsbewegung. Letztere hatte nicht nur zum Ziel, sich mit friedlichen Massenprotesten den bewaffneten Streitkräften der protestantisch-unionistischen Regierung von Nordirland entgegenzustellen, sondern diese dadurch in ihren Grundfesten zu erschüttern. Alles in allem war 1966 ein gutes Jahr für die Früchte des Zorns, und eine sich neu bildende Fraktion der immer noch schlummernden IRA (von der damals noch niemand auch nur im Entferntesten träumte), setzte sich zum Ziel, sie zu zertrampeln.
    Ich war zu dieser Zeit derart berauscht von der schrecklichen Schönheit [2] des Osteraufstands von 1916, dass ich es nicht für unmöglich hielt, dass eine weitere, endgültige Erhebung in Nordirland stattfinden und die Herrschaft der Briten ein für alle Mal beenden würde. Selbst mit erst elf Jahren war ich ganz sicher, dass ich an etwas beteiligt sein wollte, das ich für ein ruhmreiches Abschlusskapitel der Geschichte hielt. Ich ahnte ja nicht, dass ein furchtbar hässlicher Auswuchs der schrecklichen Schönheit mir gleich um die Ecke mit ausgestreckten Armen auflauerte, um mich zu umschlingen.

DENEN ZEIGEN, WER DIE HERRSCHAFT HAT
    Gegen Ende des Jahres 1968 waren mir die Bürgerrechtsmärsche schon genauso vertraut wie die unvermeidlichen Konfrontationen mit der protestantischen Royal Ulster Constabulary. Diese endeten gewöhnlich damit, dass Gummiknüppel der Polizei auf katholische Schädel niederkrachten, Wasserwerfer (manchmal mit unauswaschbarer Farbe) Menschen völlig durchnässten und alles in schwerste Krawalle eskalierte, so auch an dem bekanntesten Datum dieses Jahres, dem 5. Oktober.
    Zu manchen Gelegenheiten, wenn die unionistische Regierung alle Märsche verbot, war Derry der Schauplatz von spontanen, unaufhaltbaren Protesten seitens der Hafenarbeiter oder der „Fabrikmädchen“ (der Näherinnen aus den Hemdenfabriken). Es verblüffte mich, dass in einem Zeitraum von wenigen Monaten anscheinend die gesamte katholische Bürgerschaft von Derry, die sich bis dahin durch höchst schlafmützige Reaktion auf fünfzig Jahre Ungerechtigkeit ausgezeichnet hatte, sich zu öffentlichen Demonstrationen wie einem Sitzprotest auf dem Platz vor der Guildhall zusammentat. Nahezu jede Bürgerrechtsdemonstration wurde von einer protestantisch-unionistischen Gegendemonstration begleitet, die die bewaffnete Polizei ganz offensichtlich auf ihrer Seite hatte. Die Erfahrung, in friedlicher Widerstandshaltung inmitten Tausender anderer Katholiken „We Shall Overcome“ zu singen, erfüllte mich mit dem Glauben, dass wir im Streben nach einer geradezu mystischen, religiösen Einheit und einem ebensolchen Ziel verbunden waren.
    Da ich in der Clarendon Street direkt neben der Stadtmitte und nahe bei der Victoria-Polizeikaserne wohnte, ging ich oft zuerst hinter der Polizeifront in einer Menge von protestantischen Gegendemonstranten los, von denen ich viele entweder persönlich oder vom Ansehen her kannte, da sie in meiner Nähe wohnten. Während eines Gemenges, wenn Demarkationslinien gewaltsam verschwanden, musste ich dann schnell die Seite wechseln.
    Die Clarendon Street war nur zwei Straßen vom Brennpunkt fast aller schweren Unruhen der nächsten Jahre entfernt. Dieser Brennpunkt war die Kreuzung der William Street mit der Rossville Street am Eingang des Bogside-Viertels, des klar abgegrenzten Katholiken-Ghettos. Die Bogside sollte sich bald zum Mittelpunkt der IRA-Aktivitäten entwickeln. Anders als viele Leute, die in manchen Straßen der Bogside, des Brandywell- und des Creggan-Viertels wohnten, konnten ich und meine Familie den Lärm der Krawalle (der so regelmäßig auftrat, dass man ihm den Titel „Samstags-Matinee“ verlieh) zuhause hören, einschließlich des Knallens der CS-Gasgeschosse der Polizei. Oft saßen wir mit tränenden Augen im Haus, wenn der vorherrschende Wind das Tränengas in unsere Richtung und zu den Fenstern hineinwehte.
     
    Als ich fünf Jahre alt war, hatte mein Vater mich das erste Mal auf die andere Seite der Leckey Road, der Hauptschlagader der Bogside mitgenommen, als in

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