The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
eines Kindes. Nach einigen Minuten gab ich ihm die Heilige Kommunion, und wir verbrachten einige Zeit gemeinsam im Gebet. Ich versicherte ihm, dass ich bis zum Ende bei ihm bleiben und ihm die Letzte Ölung angedeihen lassen wollte, sobald er fiel. Als die Zeit zu Ende war, klopfte ein Soldat an die Tür und wir gingen miteinander den Gang hinunter, wo letzte Vorbereitungen getroffen wurden. (Meine Erinnerung kehrt nun lebhaft wieder, und ich bin beim Schreiben dieser Zeilen naturgemäß stark bewegt.) Er bat ruhig darum, dass man ihm die Hände nicht fesseln möge und versprach vollkommen still zu stehen.
„Bedaure, Sir“, antwortete der Soldat, „aber dies sind Befehle.“ Dann bat er darum, dass man ihm die Augen nicht verbinden möge, und die Antwort war die gleiche. Indem er sich etwas beiseite wandte, sagte er ganz natürlich und mit milder Stimme: „Wissen Sie, Vater Augustinus, ich habe früher schon oft in ihre Gewehrläufe geblickt.“
Später bringt man ein Stück weißes Papier über seinem Herzen an, und vom Heiligen Geist bewegt raune ich ihm zu: „Wir alle sind Sünder. Bieten Sie Ihr Leben für Sünden und Verfehlungen der Vergangenheit dar.“ Und frei von Todesfurcht entgegnet dieser tapfere Mann wie ein Kind und doch voll Festigkeit: „Ich danke Ihnen, Vater, dass Sie mir dieses sagten. So werde ich es tun.“ Die beiden Soldaten und ich selbst bewegen sich nun den Korridor entlang und wenden uns nach links in einen Hof, wo die zwölf Männer des Exekutionskommandos bereits mit geladenen Gewehren warten. Sechs von ihnen kauern mit einem Knie auf dem Boden nieder, während die anderen sechs hinter ihnen stehen. Er steht ihren Gewehren etwa fünfzig Fuß entfernt gegenüber, mit einem Abstand von zwei bis drei Fuß zur Wand. Die beiden Soldaten ziehen sich nach links zurück in die Nähe des Gouverneurs und des Arztes, während ich in völliger Weltvergessenheit nur an ihn denkend, nahe zu seiner Rechten stehe und bete. Der Offizier nähert sich, nimmt mich behutsam beim Arm und geleitet mich zu einer Stelle unterhalb seiner selbst. Er spricht ein Wort. Der Gefangene versteift sich und dehnt seinen Brustkorb aus. Dann schnell ein stummes Signal, eine laute Salve, und der Körper sackt in sich zusammen. Ich bewegte mich eiligst nach vorn und salbte ihn, wobei ich die Bedeutung der wunderbaren Worte der Liturgie so stark wie nie zuvor verspürte. Desgleichen empfand ich Trost in der Gewissheit, dass die Seele des teuren Gefallenen sich bereits auf dem Wege zu Gott und seiner gesegneten Mutter befand.
Im Alter von neun und zehn Jahren befand ich mich wirklich in einsamer und stark emotionaler Versenkung in den Geist dieser Schriften – mit anderen Worten, ich weinte mir beim Lesen die Augen aus dem Kopf. All das führte dazu, dass ich mein eingangs erwähntes eigenes Gelübde im Stil von Pearse verfasste und versteckte. Ich schreibe hier wahrscheinlich oft mit einem Unterton von Ironie oder Satire, aber es wäre unaufrichtig, die patriotische Hingabe, die ich jahrelang empfand, ohne dass es ein Ventil dafür gab, und das bedingungslose Vertrauen darauf, dass ich eines Tages in einer IRA-Kampagne aktiv sein würde, herunterzuspielen.
Es war ja alles ganz gut und schön, die richtigen Voraussetzungen für das Gebaren eines IRA-Helden oder Märtyrers zu haben und sich an Irlands Freiheitskampf zu beteiligen, aber Irland führte zu dem Zeitpunkt überhaupt keinen Freiheitskampf. Das Schicksal war jedoch schon auf bestem Wege, einen zu liefern, und die ersten Anzeichen dafür wurden 1966 sichtbar, als ich elf Jahre alt und in meinem ersten Jahr am St Columb’s College in Derry war.
Die damals letzte zurückliegende IRA-Aktion hatte 1956 begonnen und war unter dem Namen „Grenz-Kampagne“ bekannt. Sie war aber schnell vorbei und wurde 1962 von der IRA offiziell abgesagt.
Zehn Jahre danach, 1966, feierte die Republik Irland den fünfzigsten Jahrestag des Osteraufstands von 1916 mit einer eindrucksvollen öffentlichen Würdigung, voller Nostalgie und mit einem Aufmarsch am Dubliner Hauptpostamts-Gebäude im Beisein der irischen Staatsminister und angereisten Abgeordneten. Als elfjähriger Schüler beobachtete ich die Feierlichkeiten mit Interesse.
Da die IRA von der Feier nicht gänzlich ausgeschlossen sein wollte, jagte sie die Nelson-Säule, eine bedrückende Hinterlassenschaft in der Stadtmitte von Dublin, in die Luft und löste einen Ansturm auf die Trümmer aus. Es behaupteten so viele
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