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The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

Titel: The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shane O'Doherty
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war ja offensichtlich, dass wir keine Schusswaffen hatten – denn als Schüsse auf uns gefeuert wurden, während wir die Gegend um die Kathedrale verteidigten, waren keinerlei Schüsse von unserer Seite zurückgefeuert worden. Die Kampfpause, die auf den vorläufigen Rückzug der Polizei folgte, wurde bald unheimlich, und alle waren in großer Sorge, dass die Polizei sich rüstete, Gewehre einzusetzen. Während des Tumults hatte es zwar schon Polizeischüsse gegeben, aber es waren nur ein paar vereinzelte gewesen.
    Es brach so etwas wie Feierstimmung in den Straßen aus, als sich wie der Blitz die Nachricht verbreitete, dass der Premierminister von Irland, Jack Lynch, im Fernsehen erklärt hatte, die irische Regierung werde „nicht tatenlos zusehen“, während Katholiken in Nordirland angegriffen und belagert wurden. Dies war nun endlich eine gewisse Solidaritätsbezeugung von Seiten der Republik Irland, die fünfzig Jahre lang tatenlos zugesehen hatte, wie irische Katholiken in Nordirland als Bürger zweiter Klasse behandelt wurden. Nun schienen all die Gerüchte bestätigt, dass die irische Armee bereitstand, uns zu verteidigen oder zu retten, falls die Polizei und die B-Specials uns mit Gewehren angriffen. Ich weiß noch genau, wie alle sagten, wir müssten nur ausharren und die Verteidigung weiter aufrechterhalten, denn die irische Armee würde in das von den Briten besetzte Nordirland einmarschieren ....
    Doch da erschien die britische Armee mit ihren altmodischen Helmen und sperrigen Uniformen und errichtete Stacheldrahtbarrieren an all den Straßen, von wo die Polizei und die Randalierer die Bogside angegriffen hatten. Augenblicklich gab es Ruhe, Schutz und Sicherheit. Alle waren begeistert, dass die britische Armee einen stählernen Ring zwischen uns und der Polizei und den Angreifern gezogen hatte. Jeder fand es von historischer Bedeutung, dass wir mit unserem Sieg über die verhasste Polizei die britische Armee heraus auf die Straßen Nordirlands gezwungen hatten. Es hieß, die britische Regierung könne nicht länger die Augen vor dem verschließen, was in Nordirland vorging. Ich rannte nach Hause, um die Neuigkeiten zu erzählen. Für die Soldaten am unteren Ende der Clarendon Street und der Patrick Street bereitete ich belegte Brote und Kaffee zu. Ich erledigte für sie Besorgungen, für die sie mir Geld gaben und unterhielt mich stundenlang mit ihnen. Sie waren nicht viel älter als ich selbst. So ging es ein paar Tage lang, und ich vergaß vollkommen, dass wir vorher davon ausgegangen waren, die irische Armee werde eintreffen. Wir waren immer noch von der Niederlage der Royal Ulster Constabulary berauscht und konnten uns etwas Entspannung gönnen.
    Insgeheim dankte ich den Oraniern für ihren Marsch, der wie ein Katalysator für diesen revolutionären Sieg gewirkt hatte. In seinem Buch „Die Belagerung von Derry“ erinnert sich Sir Patrick Macrory: „Am Vorabend der Parade vom August 1969 fragte ich einen mir bekannten Oranier, warum es nötig sei, diese so offensichtlich provozierenden Feiern aufrechtzuerhalten. Er sah mich mild erstaunt an und meinte grimmig: ‚Wir müssen denen zeigen, wer hier die Herrschaft hat. Darum.’”
    Aber die Herrschaft war jetzt wieder zu haben, und zum ersten Mal in Nordirland hatten wir Katholiken sie in einem unsicheren Griff. Wie naiv wir doch waren! In unserem Wunschdenken war die britische Armee unparteiisch angesichts unserer Stammeskämpfe, sie war englisch, fair und Hüterin des Friedens ... Ach, wir Dummköpfe! Die Truppen standen unter der Kontrolle derselben miesen Unionisten-Regierung, die auch die Polizei und die B-Specials befehligte.
    Innerhalb weniger Tage wurde es offensichtlich. Am Rand der Bogside errichtete die Armee Zelte, durch die jeder passieren musste, der irgendwoher kam und irgendwohin wollte. Es waren Tische mit Papier darin bereitgestellt, und jeder musste seinen Namen, seine Adresse und sein Ziel notieren. Sofort regte sich Ärger. Wieso durften Bürger der Stadt Derry nicht auf ihren eigenen Straßen laufen, ohne für die britische Armee persönliche Angaben zu machen? Was wollte die Armee mit diesen Informationen überhaupt anfangen? Nirgendwo anders wurden solche Dinge abgefragt. Die Tatsache, dass die Armee diese Angaben überhaupt sammelte, zeigte ganz deutlich, dass Katholiken für sie Umstürzler oder zumindest ein gefährlicher Teil der Einwohnerschaft waren. Statt die Bogside vor der Polizei und den Angreiferhorden zu

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