The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
von jemand anderem – und mit einer unvergesslichen Mischung aus Ruhe und Aufgeregtheit lief ich bis nach vorn und sogar noch weiter. Ich wusste, dass ich nicht so weit werfen konnte wie die anderen, und so lief ich bis vor die allervordersten Widerständler. Die Polizisten standen dumm zusammen in einer Menge herum und schienen sich kaum zu bewegen, ob nun aus Angst vor der Heftigkeit des Widerstands oder aus Müdigkeit, weiß ich nicht. Es war ganz einfach, die Flaschenbombe mitten unter sie zu werfen und dann zuzusehen, wie sie vor den Flammen auseinanderhüpften. Es war eine berauschende Macht, die man über einen verhassten Feind ausüben konnte, und ich wollte mehr davon. Vor allem lernte ich auch, dass ich erreichen konnte, was ich mir zum Ziel setzte, dass ich bis ganz nach vorn und noch weiter gehen konnte. Und so warf ich Flaschenbomben, bis ich nicht mehr konnte. Es schien mir kein schlechter Anfang für einen Vierzehnjährigen zu sein.
Als die Polizei während der Nacht einen Überraschungsangriff entlang der Infirmary Road oberhalb der Kathedrale startete, hoben ich und zwei andere junge Kerle einen großen, schweren Mann auf, der fast bewusstlos von der Wirkung des Gases dort lag. Wir rannten mit ihm den Creggan-Hügel hinauf, außerhalb der Reichweite der Polizei. Als er wieder bei klarem Bewusstsein war, dankte er uns überschwänglich, dass wir ihn vor der Festnahme gerettet hatten, und jedes Mal danach, wenn ich ihn wiedersah, bedankte er sich wieder bei mir, der ich im Vergleich zu ihm ein schmächtiges Kerlchen war. Es zeigt, dass in jenen Tagen Größe, Gewicht und Alter kein Hindernis bei der Hilfsbereitschaft waren.
Meine schlimmste Erfahrung während dieser Tumulte machte ich in der Rossville Street, als die Polizei das erste Mal zurückwich und zu verschwinden schien. Im grellen Licht brennender Gebäude sah sich die große Menge von Verteidigern der Bogside, unter denen ich mich befand und die mit jedem Erfolg mehr Zuversicht gewonnen hatten, einer Horde von Protestanten in der Great James Street gegenüber, die hinter der Polizei gestanden und sie unterstützt hatten. Nie werde ich den Augenblick vergessen, als ein Mann in meiner Nähe plötzlich brüllte: “Los, jetzt schnappen wir sie uns!“ In diesem Moment hatte ich die bildliche Vorstellung, dass es jetzt direkt vor meinen Augen in einem blutigen Straßenkrieg, an dem sich protestantische und katholische Nachbarn von mir beteiligten, Mann gegen Mann gehen würde, und ich weiß noch, dass ich rief: „Nein! Geht nicht da rüber! Nein!“ Mir fiel plötzlich auf, dass ich mich wie ein panisch verängstigter Jugendlicher anhörte – genau das war ich ja auch – und da wurde ich still und zog mich aus der vordersten Linie zurück. Die direkte Konfrontation zwischen Protestanten und Katholiken fand, aus welchem Grund auch immer, in Derry nicht statt.
Wegen der Barrikaden und Krawalle konnte ich gar nicht mehr zur Clarendon Street zurück und musste die Nacht draußen verbringen. Hunderte anderer Menschen blieben die ganze Nacht um improvisierte Kohlenöfen herum in Bereitschaft, das Wohnviertel zu verteidigen, und man konnte von den Anwohnern Tee und belegte Brote bekommen. Die ganze Zeit über hatte ich abends meinen Eltern berichtet, wie ich die Lage in den Straßen wahrgenommen hatte, und ich gab ihnen immer den Eindruck eines reinen Beobachters. Dass ich die ganze Nacht über fortblieb, war eine Ausnahme und nur erlaubt, wenn es draußen zu gefährlich zuging, als dass ich mich durch die Straßen hätte zurück wagen können. Katholiken befanden sich derzeit in einer solch brisanten Lage von historischer Bedeutung, dass Sonderregelungen galten.
Es hatte schon eine ganze Weile Gerüchte gegeben, dass die Regierung von Irland und die irische Armee uns helfen würden. Der Sohn eines bekannten Anführers diente in der irischen Armee und war, wie behauptet wurde, ständig in der Nähe, um dem Armee-Geheimdienst von der aktuellen Lage zu berichten. Ich erinnere mich, dass ein Gerücht besagte, irische Armee-Einheiten seien im Celtic Park-Stadion einquartiert; ein anderes wollte sie direkt an der Grenze, die gar nicht weit von Brandywell entfernt verlief, in Bereitschaft wissen.
Nach dem unvorhergesehenen Sieg über die Royal Ulster Constabulary fürchteten nun alle, dass die Polizei und die B-Specials ganz einfach scharfe Munition gegen Steine und Flaschenbomben einsetzen würde und die Schlacht dann ganz schnell beendet wäre. Es
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