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Thea und Nat

Thea und Nat

Titel: Thea und Nat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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zu. Nicht das kleine Gepäck. Den Kram nehmen und gehen und nicht mehr zurückkommen. Thea sah sich nach dem großen Koffer um. Bella ciao, hatten die alten Männer gesungen. Nat war mit Thea durch die Bar getanzt, und die Männer hatten geklatscht. Nat kaufte Thea eine Schachtel der Baci di Perugia, die Thea anbot, bis alle Pralinen gegessen waren.
    Die Schachtel hatte sie behalten.
    Thea hob den Deckel des alten Schiffskoffers.
    Auch eines von Nats Erbstücken, das einem Feingold gehört hatte. Thea fand die Pralinenschachtel unter einem Packen Leinendecken. Die dicke Pappe ließ sich schwer zerreißen, doch Thea schaffte es, kleine Fetzen zu machen. Auch aus der Menükarte vom sechsten September. Dann packte sie den kleinen Koffer.
    Ein Stück vom blauschwarzen Perugiahimmel pickte Thea aus einem der Schlittschuhe, die auf dem Boden lagen. Es fiel ihr erst einen Augenblick später auf, daß daran etwas nicht stimmte.
    Nats Schlittschuhe. Thea hatte Nats Sportzeug schon vor Monaten in einen großen Karton gepackt. Auch die Schlittschuhe. Nur die Skier nicht, die im Kamin gebrannt hatten. Das Skateboard nicht, das noch neben der Kammertür lehnte. Thea schob eine Kleiderstange zur Seite und sah den Karton in der Ecke stehen. Dort hatte sie ihn hingeschoben.
    Sie nahm die Pappe und hielt das Zeitungspapier in der Hand, das in den Schuh gestopft war. Zweiundzwanzig Tote in Kasachstan. Thea las die Zeile und versuchte sich zu erinnern, bei welcher Gelegenheit sie die Schlittschuhe aus dem Karton genommen hatte.
    Zweiundzwanzig Tote. Thea war nicht berührt. Weit weg. Lang her. Wann war Nat zum letztenmal Schlittschuh gelaufen?
    Im vorigen Winter war der Frost erst am Tag vor Theas Geburtstag gekommen. Also war er vor zwei Jahren das letztemal auf dem Eis gewesen.
    Kasachstan. Warum war das Wort in ihrem Kopf?
    Thea las den Artikel über Michail Solomenzew, der Vorsitzender eines Kontrollkomitees war, und wurde nicht klüger.
    Sonst nur eine Meldung über den geringen Börsenumsatz auf der Seite. Der zweite Teil der zerrissenen Zeitungsseite steckte im anderen Schuh. Den Aufmacher vom Protest der Studenten in Shanghai registrierte Thea nur am Rande.
    Ihr Blick blieb beim Datum hängen.
    Der 23. Dezember des gestern vergangenen Jahres.
    Die Zeitung in Nats Schlittschuhen war zehn Tage alt.
    Nat stellte den Motor ab und saß noch eine Weile still hinter dem Steuer, bevor er wagte, zur Wohnung hochzugucken.
    Als er die hellen Fenster sah, seufzte er auf.
    Er war nicht lange weg gewesen. Vier Stunden.
    Er hätte länger aushalten wollen, doch in der letzten Stunde war Nat panisch geworden bei dem Gedanken, daß Thea nicht mehr da sein könnte, wenn er nach Hause käme.
    Waren vier Stunden lang genug, um Thea über seinen Verbleib nachdenken zu lassen? Vier Jahre nicht, dachte Nat.
    Doch wenigstens hatte er eine Ohrfeige auf der Habenseite.
    Thea schaute nicht hoch, als Nat hereinkam.
    Sie saß auf dem Sofa und sah in ihr Buch.
    »Ich bin wieder da«, sagte Nat.
    Thea gab keine Antwort.
    »Ich bin derjenige, der geohrfeigt wurde«, sagte Nat, »du kannst ruhig netter sein.«
    Thea hob den Kopf. »Du hast deine Schlittschuhe vergessen, oder trägt das Eis schon nicht mehr?»
    »Was soll das?« fragte Nat.
    Thea warf ihm das zerknüllte Zeitungspapier in den Schoß. Nat strich das Papier glatt.
    »Studenten haben in Shanghai protestiert. Damit habe ich nichts zu tun, falls du gegen diesen Protest bist.«
    »Schau dir das Datum an.«
    »23. Dezember«, sagte Nat.
    »Der vor zehn Tagen.«
    »Ich kapiere trotzdem nicht, was du von mir willst.«
    »Die Zeitung war in deinen Schlittschuhen.«
    »Ach so«, sagte Nat, »und du denkst, ich hätte Eishockey gespielt.«
    »Hast du nicht?«
    »Doch. Ich war ziemlich wacklig auf den Beinen, aber ich habe den Jungs immer wieder den Puck abgejagt.«
    »Hast du sonst noch was dazu zu sagen?«
    »Ich kann es dir erklären.«
    »Dann erkläre mir auch, wie du in die Kammer gekommen bist.«
    »Das ist nun wirklich einfach«, sagte Nat, »ich bin auf dem Hintern hineingerutscht.«
    »Warum? Deine Klamotten sind im Dielenschrank.«
    »Ich wollte an den Expander. Ein bißchen trainieren. Ich habe in dem Karton gekramt und die Schlittschuhe gefunden.«
    »Und dann?«
    »Ich wollte was Dramatisches tun und sie wegwerfen. Du hättest sie dann im Müll gesehen.«
    »Danke«, sagte Thea, »du hattest doch schon die Skier verbrannt.«
    »Darum fand ich das auch zu abgedroschen.«
    »Was hast du also

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