Thea und Nat
dir dein eigenes Aspirin«, sagte Thea.
Nat faßte nach dem Griff, der an die Wanne geschraubt war, und hob sich auf den Kachelvorsprung. Er rutschte langsam in das heiße Wasser und seufzte auf.
»Hier fühlt sich die kleine Meerjungfrau wohler als auf dem trockenen Land«, sagte er.
»Was wirst du tun, wenn ich kalt dusche?«
»Du wirst mir Zeit geben, vorher zu entkommen.«
Nat sank noch ein bißchen tiefer in den Schaum.
»Ein Glück, daß du klein bist«, sagte er, »so geht es gerade mit der Wanne. Hast du schon einen Termin fürs Standesamt?«
»Sie saßen im Schaumbad und sprachen von Heirat«, sagte Thea und nahm die Handbrause.
»Willst du mich gleich mit einem kalten Guß strafen?«
»Ich will mir die Haare waschen. Ich brauche nicht zuzuhören.«
»Mir ist es ernst«, sagte Nat.
»Mir auch. Ich habe nicht die geringste Lust, Mrs. Nathaniel Landman zu sein.«
»Von mir aus auch Frau Friedberg Landman. As you like it.«
»Ich heirate dich nicht, Nat.«
Thea hängte die Brause an den Haken.
»Ich fahre morgen nach Berlin. Eine größere Geschichte, die mir die Redaktion anvertraut hat.«
»Warum sagst du mir das erst jetzt?«
»Weil ich dir nicht vorzeitig die Laune verderben wollte. Ich möchte dich bitten, weder Treppen noch andere Abgründe hinunterzustürzen.«
»An deinem Geburtstag bist du doch da.«
»Ich komme an dem Abend zurück.«
»Das sind zehn Tage.«
»Neun«, sagte Thea.
Nat legte die rechte Hand auf den Wannenrand und griff mit der linken nach der Sprossenleiter, die an der Wand hing. Thea dachte, er mache einen Versuch, hochzukommen. Doch Nat gab sich einen Schwung und tat das Gegenteil. Rutschte noch tiefer in die Wanne. Tief genug, um mit dem Kopf unter Wasser zu kommen.
Thea wartete. Wartete etwa eine Minute. Nat tauchte nicht auf. Thea nahm Nats Kinn und versuchte, seinen Kopf nach oben zu drücken, doch er schüttelte ihre Hand ab und sank noch tiefer. Thea stand auf und stieg aus der Wanne und packte Nat an den Schultern und dachte, daß sie alles zu langsam tat.
Doch sie schaffte es, ihn auf den Vorsprung zu ziehen.
Nat ließ den Kopf in den Nacken fallen und keuchte nach Luft. Thea nahm ein Handtuch und trocknete ihm das Gesicht.
»Hör auf«, sagte sie, »hör auf mit deinen Spielchen. Ich mach' das nicht mehr mit. Wenn du dich umbringen willst, dann tu es, doch tu's nicht vor meinen Augen.«
Nat hustete einen Schwall Wasser.
»Ist gut«, sagte er, als er wieder gleichmäßiger atmen konnte, »ich mache es still und heimlich. Wie dein Vater.«
Thea schlug zu. Ihre Hand zeichnete sich in Nats Gesicht ab, kaum daß sie sie zurückgezogen hatte.
Sie sah den roten Fleck auf Nats Wange und wollte darüberstreichen. Doch Nat zuckte zurück.
Er nahm das Tuch, das Thea noch immer in der einen Hand hielt, und legte es sich auf den Schoß, als müsse er seine Blöße bedecken.
»Es tut mir leid«, sagte Thea.
»Laß mich allein«, sagte Nat, »ich möchte nicht, daß du mir zusiehst.«
Thea hörte, wie Nat versuchte, den Wagen zu starten. Es gelang ihm nicht gleich. Doch als Thea ans Fenster ging, sah sie ihn davonfahren.
Sie lief durch die Wohnung und wußte nicht mehr, was sie hatte tun wollen. Dann schließlich stand sie in der Kammer, die einmal Nats und ihre Kleiderkammer gewesen war. Seine Sachen hatte sie schon im Sommer in den großen Schrank in der Diele geräumt. Die Kammertür war zu schmal für Nat.
Thea nahm den kleinen Lederkoffer, der zwischen den großen Gepäckstücken stand, und ließ das Schloß aufschnappen. Die Menükarte eines Florentiner Restaurants lag darin.
Das Menü vom sechsten September.
Sie hatten ihren fünften Jahrestag gefeiert.
Ende September waren sie in Kalabrien gewesen, in irgendeinem Nest in den Bergen. Sie hatten in der einzigen Bar gestanden und salzigen Käse gegessen und literweise Wein getrunken.
Auf Louise, hatte Nat gesagt und das Glas gehoben.
Auf Louise, die heute fünf Jahre tot ist.
A Louise, hatten die alten Männer gerufen und Nat zugeprostet. Thea mochte ihr Glas nicht mehr heben.
Sie hatte in den Spiegel geschaut, der über der Theke hing, und Nat zugesehen, der ausgelassen war, als gälte es, ein Fest zu feiern. A Louise.
Neben dem Spiegel klebte die blauschwarze Reklametafel einer Schokoladenfirma. Die schwarze Silhouette eines Paares vor einem Sternenhimmel. Baci di Perugia.
Thea nahm die Karte aus dem Koffer und legte ein Kleid hinein. Sie holte es wieder heraus und klappte den Kofferdeckel
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