Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
ritt zu Selanna zurück, ohne eine Entgegnung abzuwarten. Während wir unseren Weg fortsetzten, trabte sie neben uns her. Und ich merkte, dass auch Mato uns nach wie vor folgte.
Die Sonne sank, es wurde kühler und ich spürte, wie Polly zu zittern begann. Ich hüllte sie in meinen Umhang, doch sie hörte nicht auf, am ganzen Leib zu beben. Langsam ging auch mir die Kraft aus, meine Arme schmerzten vom krampfhaften Griff, mit dem ich sie festhielt, meine Knie, mein Fuß, mein Rücken, alles tat mir mit einem Mal weh. Außerdem drohten mir meine Augen zuzufallen; es schien eine Ewigkeit her zu sein, seit ich das letzte Mal ausreichend geschlafen hatte.
„Polly, wir werden es heute nicht mehr bis nach Hause schaffen“, teilte ich ihr kurzerhand mit, obwohl mein Herz vor Sehnsucht nach Louis heftig protestierte. „Wir müssen eine Pause machen.“ Wie ich erwartet hatte, reagierte sie nicht darauf.
Eine halbe Stunde später hatten wir das BoraBora erreicht.
Auf einmal flackerte ein hoffnungsvoller Gedanke in mir auf. Vielleicht sind Verne und Will noch da.
Brauchst du mal wieder eine starke Schulter, um dich auszuweinen? stichelte mein Verstand.
Nein. Ich brauche etwas zu essen, gab ich säuerlich zurück. Polly muss am Verhungern sein und ich habe fast nichts mehr dabei.
Aber die beiden waren schon weitergezogen, wie ich feststellte, als ich den Saunabereich begutachtete und ihn pferdelos vorfand. Will hatte ja betont, wie eilig sie es hatten, zurück nach Citey zu kommen. Kein Wunder also, aber doch eine Enttäuschung. Mit Mühe bugsierte ich Polly in den zweiten Stock hinauf und ließ sie in dem Bett niederlegen, in dem ich die Nacht zuvor eine albtraumerfüllte Stunde geschlafen hatte. Jedes andere Zimmer wäre genauso gut gewesen, aber dieses hier fühlte sich sicherer an.
„Ich bin gleich wieder da, Polly“, flüsterte ich ihr zu, schnappte mir meine Taschenlampe und verließ den Raum. Im Heizungskeller fand ich nach einigem Suchen die Pumpe mit einen großen Holzeimer darunter; das Wasser war warm, aber ich konnte jetzt nicht wählerisch sein und füllte den Kübel so weit, dass ich ihn gerade noch schleppen konnte.
Oben im Zimmer gab ich Polly etwas davon in einem Zahnputzbecher zu trinken und sie stürzte es gierig hinunter, bevor sie wieder aufs Bett zurücksank. Auch ich löschte meinen Durst, dann säuberte ich so sanft wie möglich mit dem restlichen Wasser Pollys Haut von Schmutz und Blut. Sie ließ es ohne Beschwerde über sich ergehen, aber auch ohne Dank. Ich zog ihr Stiefel und Hose aus und breitete die Decke über sie, doch sie hörte nicht auf zu zittern. Besorgt betrachtete ich ihre kleine, zusammengerollte Gestalt in dem übergroßen Bett. Vermutlich stand sie unter Schock.
Was haben sie nur mit dir gemacht? Was habe ich nur mit dir gemacht?
„Ich schaue mal, ob ich etwas zu essen finde“, teilte ich ihr gespielt heiter mit, dann lief ich wieder nach unten, suchte aber diesmal die Hotelbar auf. Vielleicht fand ich noch irgendwelche Reste, die Verne und Will zurückgelassen hatten. Der Lichtkegel der Taschenlampe erfasste den Tisch, um den wir vor einigen Stunden gesessen waren – sowie einen Wassercontainer und eine weiße Papiertüte, die demonstrativ darauf platziert waren. Erleichterung schwappte durch mich hindurch, entspannte meine Glieder und ließ sie zugleich zittern. Schnell lief ich hin und sah in die Tüte.
Ein Laib Weißbrot, zwei Äpfel, eine Dose Mais, eine Packung gemahlener schwarzer Pfeffer. Und eine kurze Notiz von Will: Ich wusste, dass du es schaffen würdest. Wir sehen uns in Citey. Cheers, Will. Vor Dankbarkeit stiegen mir Tränen in die Augen. Auch Verne hatte an mich geglaubt, Pfeffer und Mais mussten von ihm sein.
Ich habe es geschafft? dachte ich völlig ungläubig. Und dann: Ich habe es geschafft!
Okay, Polly hasste mich, Themiskyra stand vermutlich Kopf wegen unseres Verschwindens, Louis würde mir ziemlich böse sein, aber ich hatte es geschafft! Die jähe Erkenntnis trieb mir noch mehr Tränen in die Augen. Tränen der Erleichterung und der Erschöpfung. Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen und weinte. All das Entsetzen, die Verzweiflung und die Todesangst, die ich ausgestanden hatte, weinte ich mir von der Seele.
Ich weiß nicht, wie lange ich dort unten saß, bis das Schluchzen leiser von der hohen Decke hallte und schließlich verstummte. Schniefend nahm ich die Tüte und das Wasser und stapfte wieder hoch.
Mein Blick war so verschwommen,
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