Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
sollen wir denn den anderen erzählen? Ich meine seinetwegen …“ Ich zeigte mit dem Daumen hinter mich.
„Wir können nicht zulassen, dass er uns weiter folgt“, bestimmte Polly knapp. „Er wird herausfinden, wo sich Themiskyra befindet.“
„Das ist doch schon lange bekannt. Das wussten die Andraket schon, bevor ich ihnen das erste Mal begegnet bin.“ Kein Thema, auf dem ich jetzt herumreiten wollte. „Außerdem wüsste ich nicht, wie wir ihn davon abhalten sollten, uns nachzureiten. Er ist genauso beharrlich wie du“, setzte ich hinzu – unbedacht, wie mir klar wurde, als Pollys Blick mich erdolchte. „Aber eigentlich meinte ich etwas anderes. Willst du, dass Atalante erfährt, dass er uns gerettet hat, weil er sich … weil er einen Narren an dir gefressen hat?“ Es schien mir sicherer, das L-Wort an dieser Stelle zu vermeiden.
„Erzähl, was du willst.“ Ihr Blick war wieder starr in die Ferne gerichtet. „Im Übrigen entbinde ich dich von unserer Abmachung.“
Sie meint unseren Deal, stellte ich beklommen fest, den wir in der ersten Nacht geschlossen haben, nachdem wir erfahren hatten, dass wir Schwestern sind. Den Pakt, der besagte, dass wir uns immer alles erzählen würden.
„Du behältst ohnehin das Meiste für dich und der Rest ist gelogen.“
Dieser Hieb war so heftig, dass mir die Spucke wegblieb. Und das Schlimmste daran war, dass sie recht hatte.
Ich weiß nicht, ob so viel Zeit überhaupt existiert, wie Polly brauchen wird, um mir zu verzeihen.
Ich habe Angst, ließ mein Herz verlauten.
Warum?
Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, was ihm so zusetzte. Da war so viel, worüber ich mir Sorgen machte, dass es schwierig war, diese spezielle Furcht aus meinem inneren Chaos herauszusieben: Sie wird nicht mehr dicht halten. Sie wird dich verraten. Dich und Louis. Wenn es darum geht, was genau auf dem Ulmenhof passiert ist, wird sie unweigerlich erwähnen müssen, dass du Bob schon kanntest und warum du die Vatwaka nicht an die Amazonen ausgeliefert hast. Und dann kommt alles heraus.
„Polly? Wirst du Atalante von Louis und mir erzählen?“, fragte ich bang.
„Ich hätte allen Grund, ihr die Wahrheit zu sagen. Du hast uns verraten, uns alle, und du hättest es in Tasek fast wieder getan.“
„Für dich !“, stieß ich unter Tränen hervor. „Nur um dich da rauszuholen.“
Sie beachtete meinen Einwand nicht. „Und das ist genau der Grund, weshalb wir uns nicht mit 'Shimet einlassen. Niemals. Es bringt nur Unglück, Lügen und Leid, zerstört unsere schwesterliche Loyalität, vernebelt den Sinn für das, was wahr und gut ist. Aber keine Sorge. Ich halte mich an mein Wort. Ich werde überhaupt nichts erzählen. Mach daraus, was du willst.“
Ich war zu frustriert, um erleichtert zu sein. Benommen ließ ich mich wieder zurückfallen, trabte auf halber Strecke zwischen Polly und Mato gesenkten Kopfes dahin. Als wir nach einigen Stunden in heimische Gefilde gelangten, hielt ich an und wartete, bis Mato zu mir aufgeschlossen hatte.
„Du kannst wirklich nicht noch weiter mit uns kommen. Polly ist jetzt in Sicherheit. Das ist Themiskyras Boden. Wenn die Amazonen dich hier aufgabeln, gibt’s richtig Ärger“, warnte ich ihn.
„Ich kann nirgendwo hin. Wenn mich meine Leute erwischen, bin ich tot“, sagte er ungerührt und sah nach vorne zu Polly. „Wenn mich eure Leute schnappen, bin ich wenigstens in ihrer Nähe.“
„Na wunderbar. Du brauchst nicht glauben, dass sie dich besuchen kommt, wenn du im Verließ sitzt, oder dir einen Kuchen mit Feile schickt.“ An seiner störrischen Miene sah ich, dass keines meiner Argumente für ihn eine Rolle spielte. Ich seufzte, sah mich für den unglücklichen Tropf schon selbst Werkzeug in Süßspeisen einbacken. „Dann versteck dich wenigstens gut im Wald. Und wag dich auf keinen Fall über die Stadtgrenze.“
So ritten wir dahin, Polly mit einer metaphorischen Gewitterwolke über dem Kopf, Mato mit blümchenumkränztem rosarotem Fatalismus, ich sowohl physisch als auch psychisch irgendwo dazwischen. Mit jedem Meter wurde mir mulmiger zumute, wenn ich an meine Mutter und ihre mögliche Reaktion auf meinen Ungehorsam dachte. Als Themiskyras Schlote auftauchten, merkte ich, dass Mato verschwunden war, und war einigermaßen erleichtert, dass er sich meine Worte anscheinend doch zu Herzen genommen hatte. Meine Schwester schien der Anblick ihrer Heimatstadt zu beflügeln, sie galoppierte auf das Tor zu, wohingegen ich immer langsamer
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