Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
wünschen. Alleine war alles madig. „Wann musst du los?“, fragte ich frustriert.
„So spät wie möglich.“
„Und das heißt?“
„So, dass ich morgen früh wieder in Themiskyra bin.“
Ich setzte mich mit einem Ruck auf und sah ihn an. „Also reitest du erst heute Nacht?“
„Ja. So spät wie möglich“, wiederholte er.
In meine Freude mischte sich schlechtes Gewissen. „Aber dann musst du sofort arbeiten, wenn du wieder zurückkommst.“
„Na und? Sind das ein paar Stunden mehr Ell nicht wert?“
Mein Herz schlug Saltos, aber ich bemühte mich um Gelassenheit, als ich sagte: „Keine Ahnung, ich habe sie ja immer.“
„Sie sind es. Für jede Sekunde mit dir würde ich tausend Stunden Schlaf geben.“
Ich empfand das genauso wie er und als wir uns abends hinlegten, hatte ich den festen Entschluss gefasst, kein Auge zuzutun, nach Möglichkeit nicht einmal zu blinzeln. Schlafen konnte ich morgen, im Winter, wenn ich tot war. Jetzt war jetzt. Ein paar Kerzen hatten wir angelassen und sicherheitshalber in den Kamin gestellt. Durch die geöffneten Fenster konnte ich das Plätschern des Baches und die Zikaden mit einer Vehemenz zirpen hören, die schon fast an Lärm grenzte. Ich sah, wie sich das Kerzenlicht in Louis Augen spiegelte, der mich genauso unverwandt anblickte wie ich ihn. Einen Moment lang überlegte ich, was passieren würde, wenn wir einfach hier blieben. Für immer. Eine Zeitblase, ganz ohne Magie. Wir könnten hier in der Mühle leben und die Natur in der Umgebung würde uns mit allem versorgen, was wir bräuchten. Es könnte immer so sein wie heute.
Dann tauchte Polly vor meinem geistigen Auge auf, meine Mutter, meine Mädels. Ich konnte nicht auf sie verzichten. Und Dante. Er konnte nicht auf Louis verzichten, auch wenn er das Gegenteil behauptete.
Ich seufzte und Louis, der mich ansah, als hätte er jeden meiner Gedanken gehört, gab mir einen Kuss auf die Nasenspitze, legte seine Stirn an die meine und sagte leise: „Mach dir keine Sorgen. Es wird alles gut. Schlaf jetzt.“
„Vergiss es“, gab ich entschlossen zurück und versuchte, seine Augen zu fokussieren, aber ich sah nur verschwommenes Dunkel …
Ich setzte mich mit einem Ruck auf und war sofort hellwach. Die Sonne war schon aufgegangen und mein Herz tat weh.
Allein.
So schnell es meine schmerzende Fußsohle zuließ, stand ich auf und riss die Tür auf, aber er war schon weg, nicht mal mehr eine Silhouette am Horizont, die ich hätte noch zurückrufen oder einholen können. Er musste schon vor ein paar Stunden aufgebrochen sein und war um diese Zeit wahrscheinlich bereits vor den Toren von Themiskyra angekommen.
Obwohl er erst so kurz weg war, zerrte die Sehnsucht jetzt schon mit solcher Kraft an meinem Herzen, dass mir die Tränen in die Augen stiegen. Albern, sicher, aber irgendwie hatte das Desaster zwei Abende zuvor beziehungsweise vielmehr sein Verständnis dafür meine Gefühle für ihn noch tiefer in meinem Herzen verankert. Außerdem ärgerte ich mich über mich selbst, dass ich es nicht geschafft hatte, in der letzten Nacht wach zu bleiben.
Jetzt reiß dich mal ein bisschen zusammen, raunzte mich mein Verstand an. Ihr habt genug gepflückt. Pack deinen Krempel, mach hier klar Schiff und schwing dich nach Themiskyra, bevor du wieder zum heulenden Elend mutierst.
Der Gedanke gab mir Mut – und ich machte es genau so. Glücklicherweise hatten Corazon und Victoria schon einen Teil der Ernte mitgenommen, so musste ich mich nur noch mit drei Säcken abmühen. Als ich am frühen Nachmittag endlich die Tür hinter mir schloss und das Gepäck zu meinem Pferd schleppte, erfüllte mich irrationalerweise plötzlich doch so etwas wie Wehmut. Ich hatte die Mühle liebgewonnen. Mit und ohne Zeitblase.
Obwohl ich ohne Pause durchritt, stand die Sonne schon tief am Himmel, als ich in Themiskyra ankam.
„Hi, Ell“, begrüßte mich Tawia am Tor und Tianyu, die danebenstand, hieß mich mit einem für ihre Verhältnisse freundlichen Nicken willkommen.
Ich hatte keine Zeit und Lust für einen längeren Plausch, deswegen grüßte ich nur zurück und ritt schnell weiter bis zum Stall. Der Hof lag verlassen da, vermutlich verpasste ich gerade das Abendessen. Zwar hatte ich aus Ungeduld bereits das Mittagessen ausfallen lassen und mein Magen knurrte, aber ich musste mich erst um Hekate kümmern. Ich führte sie in den Stall und begann eilig, die diversen Gepäckstücke abzuschnallen und auf dem Boden zu
Weitere Kostenlose Bücher