Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
wieder zu ihm hinüberschaute und verglich. Eigentlich wirkte er wie damals, als wir zusammen Obst geerntet hatten. Er schien die Hitze nicht zu spüren und pflückte in aller Ruhe vor sich hin, aber mit einer Effektivität, die unsere bisherigen Ginsterernteerfolge tatsächlich wie einen Urlaubsspaß erschienen ließ. Aber wenn er jetzt aufsah, weil er meinen Blick spürte, lächelte er mich an. Und ich lächelte zurück und mein Herz klopfte stärker, weil ich kurz die Ell von damals war, die dachte, sie wäre nicht verliebt, die dachte, sie würde nicht geliebt.
„Erzähl mir von Citey“, sagte er plötzlich. Er fühlte sich offenbar auch an unsere Apfelernte erinnert.
„Hmm“, überlegte ich. Meines Wissens hatte ich ihm schon alles, und alles mehrfach erzählt, was mir zu meiner Heimatstadt eingefallen war. Aber ich wollte ihn nicht enttäuschen. „Also in Citey, da fließen Apfelwein und Cherrycoke in den Flüssen und die Butterbrezen hängen an den Bäumen. Donnerstags dürfen alle Bewohner der Stadt nur Hellblau, an Feiertagen nur Kadmiumgelb tragen, und wenn ein Feiertag auf einen Donnerstag fällt, ist Maigrün die Pflichtfarbe.“
Louis hatte nach dem ersten Halbsatz aufgehört zu arbeiten und interessiert meinen Ausführungen gelauscht. „Du hast zu lange bei Dante in der Färberei gearbeitet“, meinte er und grinste mich an.
„Und bei Myrto in der Küche.“ Dann fiel mir doch etwas zu Citey ein. „Ich habe den Zugang wieder gefunden. Den Underground -Tunnel, der mich von Citey hierher geführt hat.“
Er riss die Augen auf. „Wirklich? Zeigst du ihn mir?“
Da klang mir etwas zu viel Begeisterung mit. Ich wusste, dass Louis nichts lieber getan hätte, als sich in die Stadt abzusetzen, wenn die Sorge um seinen Ziehvater ihn nicht in Themiskyra gehalten hätte. Und vielleicht ich. Hoffentlich.
„Mit Boreas zusammen passt du da sowieso nicht durch“, wich ich aus.
„Und mit dir?“
„Ich mag nicht. Citey ist schrecklich.“
„Ich dachte, da fließen Apfelwein und Cherrycoke?“
„Ich mag keine Cherrycoke“, grummelte ich.
„Zeigst du ihn mir trotzdem?“
„Hrmphf.“
„Hm?“
„Na gut.“
Seine Faszination für den Tunnel ließ auch dann nicht nach, als wir vor dem schwarzen Schlund standen, aus dem uns modrige Luft entgegenschlug. Während Louis ein paar Schritte in die Höhle hineinging, blieb ich mit verschränkten Armen im Grünen stehen. Gelangweilt und ungeduldig, weil ich unsere gemeinsame Zeit verrinnen sah und verschwendet wusste, sah ich ihm dabei zu, wie er dort mit der Begeisterung eines kleinen Jungen herumlief und den Boden und die Wände begutachtete.
Doch plötzlich konnte ich ihn nicht mehr erkennen, die Finsternis schien ihn verschluckt zu haben. Ein ungutes Gefühl beschlich mich.
„Louis?“, rief ich und hinkte nun doch einen Schritt auf den Tunnel zu. Keine Antwort.
Schließlich überwand ich mich, bog die Zweige vor dem Eingang zurück und machte ein paar Schritte in den Gang hinein. Dumpfe Kühle umfing mich und der typische Underground -Geruch, der sich mir für immer ins Gedächtnis gebrannt hatte, stieg mir in die Nase. Keine Spur von Louis.
Er geht weg, unkte mein Herz. Lässt dich hier zurück mit zwei Pferden, die demnächst einen Hitzschlag erleiden werden, einem Sack Ginsterblüten und einem gebrochenen …
„Das ist völlig unglaublich“, ertönte seine Stimme. Ich sah ihn aus der Dunkelheit auftauchen und atmete auf. „Was ist los?“, fragte er mich und runzelte besorgt die Stirn, als er mein Gesicht sah.
„Nichts.“ Ich ließ mir meine Erleichterung nicht anmerken und floh rasch aus dem Tunnel ins Freie. „Ich habe einfach schon zu viel Zeit hier drin verbracht.“
Die Zeit verflog, unser Tag verging so schnell und ich wurde hibbelig.
„Ich will so eine Zeitblase“, sagte ich. Wir lagen im Schatten am Fluss, ich hatte mich an seiner Seite zusammengerollt, meinen Kopf auf seine Brust gebettet und spielte mit den Knöpfen an seinem Hemd. Sein Arm lag um meine Taille, mit der Hand des anderen strich er mir über die Haare.
„Was?“
„So eine Kugel, in der immer jetzt ist, in der nur wir beide sind. Und außerhalb der Blase vergeht die Zeit nicht. Etwas in der Art.“
„Ach so, eine Zeitblase“, sagte er, als hätte ich das Wort nicht gerade erst erfunden. „Wünsch dir doch eine bei der nächsten Sternschnuppe heute Abend.“
Alleine wollte ich keine Sternschnuppen zählen. Alleine wollte ich mir nichts
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