Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
sprang ich auf. „Danke“, rief ich über die Schulter und war schon aus dem Saal hinaus. Ich ignorierte die Sieggewärtige, die mir schon wieder auf den Fersen war, und eilte die Stufen bis ins oberste Stockwerk hinauf. Zwar hatte ich Polly geschworen, niemals jemandem von ihrem GemPlayer zu erzählen, aber das war ein Notfall. Außerdem hätte sie ihn sonst nicht zurückgelassen. Ich wusste, dass sie ihn hütete wie ihren Augapfel, sie hätte ihn niemals verloren.
Nein, das war ihre Botschaft. An mich. Nur ich wusste davon, dass sie das Gerät überhaupt besaß und es machte unmissverständlich klar, dass sie keinen Unfall gehabt hatte. Sie war da lang gekommen. Und irgendwie in die Hände von Marodeuren geraten … Mir wurde schlecht, wenn ich nur daran dachte. Ich musste meiner Mutter erzählen, was ich herausgefunden hatte, auch wenn ich dadurch mein Versprechen brach. Entschlossen riss ich die Tür zu Atalantes Zimmer auf. Es war leer.
Ich fuhr zu Areto herum. „Wo ist Atalante?“
„Sie ist mit den anderen unterwegs und sucht nach deiner Schwester“, teilte sie mir ungerührt mit. „Der Suchradius wurde erhöht, sie werden erst morgen Abend zurückkommen.“
„Und Tetra?“ Sie war die Einzige, die mir in den Sinn kam, der ich mich anvertrauen konnte und die genug Befehlsgewalt innehatte, etwas zu bewegen.
„Tetra schläft …“ Als ich in Richtung Treppe loseilen wollte, hielt sie mich an der Schulter fest und vollendete ihren Satz: „… und du wirst sie nicht wecken. Sie war die ganze Nacht unterwegs und wird auch in der nächsten Schicht wieder eine der Gruppen anführen.“
„Aber ich muss ihr etwas sagen!“ Ich hörte die Hysterie in meiner Stimme und versuchte, mich zu beruhigen.
„Jetzt hör mir mal zu.“ Areto erhob ihre Stimme. „Jede von uns gibt ihr Äußerstes, deine Schwester wiederzufinden, also versuch einfach, uns nicht in die Quere zu kommen, und lass uns unsere Arbeit machen. Es ist nicht das erste Mal, dass so etwas passiert, und es ist schlimm genug, aber du machst es bestimmt nicht besser, indem du hier wie eine Furie durch die Gänge hetzt und alle verrückt machst.“
Wie betäubt vernahm ich ihre Worte. Sie nahmen mich nicht ernst. Ich war nur die dumme kleine Pseudoamazone aus der Stadt, die keinen Plan hatte und alles durcheinander brachte durch ihre unprofessionelle Herangehensweise. Ich atmete tief durch und sagte beschwörend: „Areto, ich muss …“
„Du musst gar nichts. Glaub mir, wenn es an mir wäre, würde ich dich einfach laufen lassen.“
Das glaubte ich sofort. Polly war weg, jetzt musste nur noch ich verschwinden und schon wäre ihre Tochter Padmini die nächste in der Erbfolge.
„Warum tust du es dann nicht einfach?“, rief ich erschöpft.
„Weil ich mich an den Befehl halte, den ich von unserer Paiti erhalten habe. So funktioniert das nun mal, auch wenn du das nicht zu begreifen scheinst. Du musst eine furchtbare Enttäuschung für deine Mutter sein.“ Sie sah mich aus verengten Augen an und schüttelte abfällig den Kopf. „Du gehst jetzt in dein Zimmer und gibst Ruhe“, entschied sie, dirigierte mich wieder zurück und erstickte jeden meiner Erklärungsversuche im Keim. Ich konnte nicht fassen, was da gerade passierte. Sie sperrten mich weg. Sie schlossen mich aus. Sie gaben mir keine Möglichkeit, meine Schuld an Pollys Verschwinden wieder gut zu machen.
Mehr als Trotzreaktion warf ich Tür zu unserem Zimmer wieder ins Schloss und versperrte sie. Ich ließ mich nicht einsperren, ich sperrte sie aus. Jawohl. Mutlos setzte ich mich auf Pollys Bett und stützte die Ellenbogen auf die Knie.
Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte ich mich in Themiskyra wieder komplett fehl am Platz und plötzlich vermisste ich meinen Vater ganz furchtbar. Er hatte mir immer gesagt, ich solle meinem Gewissen folgen, dann könnte ich nichts falsch machen. Von Befehlsketten war nie die Rede gewesen! Es ging doch um so viel mehr als diese stupiden Gefüge aus Anweisung und Gehorsam! Sollten sie meiner Schwester das Leben kosten?! Was würde er sagen, wenn er wüsste, in welcher Lage ich mich gerade befand? In welcher Lage seine andere Tochter sich gerade befand? Aufflammende Wut fraß sich durch meine Hilflosigkeit. Dann bin ich eben nur eine Pseudoamazone – aber dafür eine mit Gewissen! Ich würde sie nicht im Stich lassen, nur weil irgendwer glaubte, mir die Suche nach ihr verbieten zu können.
Nachdenken.
Nachdenken.
Nachdenken. Mir fehlte
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