Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
des Wegs, Aella?“, fragte sie mich ruhig und ich fing mich wieder.
„Ich muss nochmal raus“, sagte ich und wollte mich an ihr vorbeidrücken, aber sie schnappte meinen Arm mit eisernem Griff, den der kleinen Person niemand zugetraut hätte. Niemand, der sie nicht schon im Taekwondo-Training erlebt hatte.
„Das glaube ich kaum.“
„Was soll das? Lass mich sofort los.“
„Du bleibst hier.“
„Du kannst mich nicht aufhalten!“
Sie sah mich spöttisch an. „Meinst du wirklich?“
Ich sackte in mich zusammen. Wenn mich jemand aufhalten konnte, dann sie. Das hatte sie im Training oft genug bewiesen, wenn sie mich auf die Matte geschickt hatte, bevor sie mich auch noch seelisch niedergemacht hatte. Und da war ich unverletzt gewesen.
„Willst du es darauf ankommen lassen? Ich hätte nichts gegen ein bisschen Bewegung. Ich wollte heute ohnehin noch trainieren, aber dann hat Atalante mich zum Babysitten verdonnert …“
Das sagte sie so verächtlich, dass ich wirklich kurz versucht war, ihr Angebot anzunehmen, nur um meine Aggressionen gegen sie abzureagieren. Aber ich besann mich rechtzeitig. Gut. Dann anders. Ohne eine weitere Erwiderung fuhr ich herum und verließ das Gebäude wieder. Im Hof stellte ich irritiert fest, dass sie mir noch folgte. Ich blieb stehen. Sie ebenfalls.
„Lass mich in Ruhe“, fauchte ich sie an. Früher hätte ich es nie gewagt, so mit ihr zu sprechen, aber früher hatte sie mich auch nicht so genervt.
Sie zog nur schweigend die Augenbrauen hoch. Ich spürte, dass sie mir immer noch auf den Fersen war, als ich meinen Weg durch das Atrium fortsetzte und die Treppen hochstieg. Auf der obersten Treppenstufe wirbelte ich erneut herum.
„Was wird das? Verfolgst du mich jetzt auf Schritt und Tritt?“
„Sieht so aus.“
„Hör auf damit!“ Das rief ich so laut, dass die verstreuten Amazonen, die sich noch unten befanden, überrascht zu uns hochblickten. Ich kochte vor Wut. „Du machst mich wahnsinnig! Ich gehe jetzt schlafen, okay? Du kannst deiner Wege gehen. Ich hau' schon nicht ab.“
„Ich weiß“, gab sie kühl zurück und folgte mir weiter.
Ich rannte unter vollem Zehenspitzeneinsatz den Gang entlang – so wie Tianyu drauf war, würde sie es tatsächlich fertigbringen, ihr Nachtlager neben meinem Bett aufzuschlagen – witschte in unser Zimmer und schlug ihr die Nase vor der Tür zu. Schwer atmend lehnte ich mich dagegen. Das Licht ließ ich aus, die Dunkelheit um mich herum entsprach meiner momentanen Gemütsverfassung. Alles war ein totales Desaster. Als gäbe es jetzt nichts Wichtigeres zu tun, als fußlahme Verfolgungsjagden auf den Fluren. Mein Blick fiel auf das Fenster. Ich sperrte die Zimmertür ab und trat näher an die Scheibe.
Wetterleuchten flackerte in schneller Abfolge über dem Ostwald auf, dessen Baumwipfel sich im auffrischenden Wind neigten. Ein Regentropfen schlug gegen die Fensterscheibe, dann noch einer und ein weiterer, dann ganz viele. Plötzlich wurde die Finsternis von einem vielarmigen Blitz erhellt, der die Struktur der in der Ferne dräuenden Wolkenmassen in aller Deutlichkeit hervortreten ließ.
Wo bist du, Polly?
Windböen trieben prasselnden Regen gegen das Glas. Mein Blick folgte einem der daran abwärtsgleitenden Tropfen und fand sich auf dem Hofboden wieder, in dessen Kies sich bereits die ersten Pfützen bildeten.
Wie hoch war das wohl? Zu hoch, um einfach hinab zu springen. Vielleicht könnte ich mich mit Bettwäsche abseilen … Automatisch blickte ich zu Pollys Bett. Es war zerwühlt wie immer, obwohl wir stets dazu angehalten wurden, es morgens zu machen, und Polly schon den einen oder anderen zusätzlichen Tischdienst zur Strafe aufgebrummt bekommen hatte, weil sie sich weigerte, diesem spießigen Ritual zu folgen.
Ich sah nur dieses große leere Bett, in das eigentlich meine kleine liebe Schwester gehörte – und mit einem Mal legte es mir einen Schalter um. Meine Wut, meine Fixierung, nur irgendwie aus Themiskyra herauszukommen, selbst meine Schuldgefühle wichen mit einem Schlag einer tiefen, herzzerfressenden Trauer. Ich brach in Tränen aus. Gleichzeitig versuchte ich, meine lauten Schluchzer mit beiden Händen zu ersticken, da ich nicht wollte, dass Tianyu Zeugin meines Ausbruchs wurde. Doch was davon auch nach draußen dringen mochte, wurde vom Sturm übertönt, der um die Kardia und ihren Schlot brauste. Verzweifelt ließ ich mich auf Pollys Bett fallen und vergrub mein Gesicht in ihrem Kissen, aus dem
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