Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
sie es vorgezogen hatte, auf dem Hof auf mich zu warten. Mein Glück.
„Nun?“, fragte sie gelangweilt, was mich zur Weißglut brachte, aber ich unterdrückte meine Wut. Ich gab mich folgsam, denn nur, wenn ich sie davon überzeugen konnte, dass ich mich in mein Schicksal fügte, würde mein Plan aufgehen.
„Ich habe mich versichert, dass die Ginsterblüten ordnungsgemäß weiterverarbeitet werden. Polly wird sauer sein, wenn sie zurückkommt und feststellen muss, dass wir sie ganz umsonst gepflückt haben.“
Tianyu nickte nur. Vermutlich wollte sie mich nicht mit der Nase darauf stoßen, dass das momentan Pollys kleinstes Problem war.
„Wann kommt meine Mutter wieder? Ich muss wirklich dringend mit ihr sprechen.“ Ablenkungstaktik. Tianyu sollte nur glauben, dass das nun meine fixe Idee war.
„Morgen Abend. Wann genau kann ich dir nicht sagen.“
„Sagst du mir sofort Bescheid, wenn du Genaueres weißt oder sie kommen hörst? Es ist wichtig.“
„Mach ich.“ Ihr Gesichtsausdruck wirkte fast milde. Ich schätze, sie hatte Mitleid mit mir und war froh, dass ich wieder Verstand angenommen hatte.
„Danke. Ich gehe ins Zimmer“, teilte ich ihr mit.
„Gut.“ Gut für sie, da sie mich besser im Auge behalten konnte, gut für mich, weil ich dort meine Vorbereitungen treffen konnte.
Ich verließ das Zimmer an diesem Tag noch dreimal. Einmal, um mich im Bad von Kopf bis Fuß gründlich zu säubern. Meine Körperhygiene hatte ich wegen meines Verbands und der gestrigen Ereignisse ein wenig vernachlässigt, an mir klebte noch der Schweiß der Heimreise und des Schreckens über Pollys Verschwinden. Meine Wunde sah schon besser aus und ich legte einen neuen Verband an.
Zurück im Zimmer verbrannte ich Louis' Briefe in einem der metallenen Übertöpfe unserer Grünpflanzen. Wenn etwas schief ging, wollte ich nicht, dass man sie fand und ihn nachträglich bestrafen konnte. Mein Herz tat weh, als ich sah, wie die Flammen seine Handschrift zerfraßen, aber es gelang mir, ihnen trockenen Auges dabei zuzusehen.
Das zweite Mal begab ich mich in die Küche und aß mich komplett satt.
Als ich zum dritten Mal aus der Tür trat, musterte mich Tianyu überrascht. Ich trug ein dunkelgrünes kurzärmliges Oberteil, eine schwarze Lederhose, Stiefel und meinen Wildlederumhang. Strapazierfähige Kleidungsstücke in Farben, die mit dem Dunkel des Waldes verschmelzen würden.
„Was wird das?“, fragte sie misstrauisch, aber ich erkannte auch Müdigkeit in ihren Augen.
„Spring mir nicht gleich an die Gurgel, aber ich muss mal raus hier. Außerdem habe ich Hekate in den letzten vierundzwanzig Stunden völlig vernachlässigt.“
„Du weißt, dass ich dich nicht vom Gelände lassen kann.“
„Ja, natürlich“, versicherte ich ihr. „Aber kann ich vielleicht auf der Weide ein bisschen reiten?“ Die Weide war eingezäunt, und da sie direkt an Themiskyra anschloss, gehörte sie quasi mit zum Gelände. Falls meine Mutter ihr eingeschärft hatte, dass ich die Stadt nicht verlassen durfte, war das sozusagen ein Grenzfall. Und für mich im wahrsten Sinne des Wortes ein Hintertürchen.
Sie zögerte.
„Mir ist bewusst, dass ich unerträglich war, und es tut mir leid. Ich mache dir keinen Ärger. Wirklich. Ich weiß, dass ich damit die Suche nach Polly behindern würde, und das ist das Letzte, was ich will. Versprich mir nur, das du mich morgen einfach so schnell wie möglich mit Atalante reden lässt.“
„Das ist kein Problem. Aber ich weiß nicht, ob …“
„Von mir aus durchsuch mich“, unterbrach ich sie und hob die Arme. „Ich habe nichts dabei, was mir das Überleben da draußen auch nur einen halben Tag sichern würde.“
Ich dachte nicht, dass sie darauf eingehen würde, aber sie suchte mich tatsächlich ab. Als sie nicht einmal meinen Dolch bei mir fand, war sie offenbar beruhigt.
„Na gut. Aber ich begleite dich zum Stall.“
„Okay“, sagte ich munter und bitte nur zum Stall, nur zum Stall, nur zum Stall, nicht auf die Wiese, betete ich. Soweit ich jedoch wusste, war Tianyu kein großer Pferde-Fan. Ihr Herz gehörte dem Kampfsport; sie ritt nur, wenn sie musste. Und tatsächlich: Sie kam zwar mit zum Gatter, als ich meine Aspahi gesattelt auf die Weide führte, blieb dort aber stehen. Ich ritt ein bisschen hin und her, zog immer größere Kreise und sah dabei zu, wie die Sonne hinter den Baumwipfeln des Westwaldes verschwand. Das Glück kam mir in Form von Phoebe zu Hilfe, die aus dem Stall trat
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