Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
jetzt waren die Fenster blind und zum Teil zerbrochen, die Kacheln vermoost und voller Risse, und überall rankten sich Pflanzen an den Streben empor. Der Platz vor dem Haupteingang war überdacht, aus Blumentrögen, die ein Halbrund davor bildeten, wucherten Gepflanztes und Beikraut Blatt an Blatt. Die Überreste von drei zerfetzten Fahnen flatterten trostlos im Wind und erzeugten das einzige Geräusch, das die Stille durchbrach, wenn ihre Befestigungshaken an die metallenen Fahnenmasten schlugen.
Ich schauderte. Selten hatte ich dem Verfall deutlicher ins Auge geblickt als hier. Früher mögen es prächtige, lebendige Bauten gewesen sein, doch nun war der Ort tot. Weit und breit kein Anzeichen für menschliches Leben. Kein Rauch, der emporstieg, nicht der geringste Lichtschein, keine Pferde.
Ohne Hekates Zügel loszulassen, ging ich in die Hocke, trank ein paar Schlucke Wasser und behielt das Gebäude für geraume Zeit im Auge. Da sich immer noch nichts tat, ritt ich in sicherem Abstand einmal rund um den Komplex herum, besah ihn mir von allen Seiten und durchsuchte die umliegende Gegend mit prüfendem Blick. Einerseits war es gut, dass das Anwesen verlassen war, denn dann kam ich unbehelligt hinein. Andererseits – was, wenn wirklich gar niemand hier war, nicht einmal Polly? Wenn ich mich getäuscht hatte?
Dann hast du nichts zu verlieren.
Ich führte Hekate ins Dickicht zurück. Meinen Umhang schnallte ich an ihrem Sattel fest, das Adrenalin, das mir durch die Adern strömte, wärmte mich ausreichend. Geduckt lief ich durch das hohe Gras auf das Gebäude zu. Die klappernden Fahnenmasten machten mich nervös, ich brachte sie so schnell wie möglich hinter mich, erreichte das Gebäude und drückte mich mit dem Rücken an die Wand neben dem Eingang. Vorsichtig sah ich durch die Glasscheiben, aber nichts rührte sich. Ich sammelte mich einen Augenblick, atmete dann tief durch, öffnete eine der Schwingtüren und trat ein.
Es sah nicht nur tot aus, es roch auch tot. Nach … zu wenig. Wieder presste ich mich an die Wand, machte mich möglichst unsichtbar und sondierte die Lage. Es war zu dunkel, ich sah nur unbewegte Schatten, also verließ ich mich auf mein Gehör und lauschte angestrengt ein paar Minuten lang. Nichts. Kein Anzeichen für Leben. Mein Mut sank. Aber immerhin konnte ich jetzt meine Taschenlampe anknipsen. Ich befand mich in der Eingangshalle mit den Kassen- und Informationsschaltern, von der die unterschiedlichen Bereiche abgingen, wie ich verstaubten Schildern entnehmen konnte: Wellness-Insel, Wasserrutschen-Paradies, Sauna-Oase, Hotel & Resort . Verdorrte Palmen, die bis an die Glaskuppel ragten, weißer Marmorfußboden, goldene Handläufe, riesige Kristallleuchter, alles vom Feinsten und alles verstaubt. Halt – der Boden war an manchen Stellen verdächtig staubfrei. Ich bückte mich und sah ihn mir genauer an. Spuren. Fußspuren von mehreren Personen. Aber von wann? Wie viel Staub setzte sich in welcher Zeit ab? Alles hatten wir in Citey in der Schule gelernt, aber diese elementare Formel war uns vorenthalten worden.
Lautlos folgte ich den Spuren, durchquerte dabei den Saunabereich und eine Halle mit mehreren großen und kleinen Becken, deren Wasser einst von den verschiedensten Gebrechen hatte heilen sollen, inzwischen jedoch schon lang verdunstet war. Ich fühlte mich so klein in dieser riesigen Leere, dass ich mich wie ein Hamster auf Freigang an den Wänden entlang drückte, freie Flächen mied und immer wieder hinter großen Töpfen mit mittlerweile vertrockneten Palmen Deckung suchte, die alle paar Meter herumstanden. Dann führten mich die staubfreien Flecken eine Treppe hinunter. Ein Schild verbot Badegästen ausdrücklich den Zutritt. Obwohl ich mich nicht zu selbigen zählte und es da unten kaum dunkler sein konnte als hier, zögerte ich. Von dort konnte ich nicht so schnell fliehen, wenn es drauf ankäme.
Eben. Der perfekte Ort, um Gefangene festzuhalten, stellte mein Verstand fest. Los jetzt.
Ich stahl mich die Stufen hinab und trat durch eine doppelflügelige Tür, die ich geräuschlos hinter mir schloss. Im Licht meiner Taschenlampe sah ich einen Gang vor mir liegen, von dem diverse Türen und weitere Gänge abzweigten, und ich stöhnte innerlich auf. Das war das reinste Labyrinth hier unten und die Fußspuren verliefen kreuz und quer. Behutsam öffnete ich eine Tür nach der anderen, fand diverse leergeräumte Lagerräume, aber keine Spur von Polly oder ihren Entführern.
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