Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
anscheinend nicht mehr erinnere – bitte ich zu entschuldigen.“ Weil ich ihm plötzlich nicht mehr in die Augen sehen konnte, begann ich hochkonzentriert, am Knopf meiner Weste herumzunesteln. Dennoch spürte ich seinen Blick auf mir lasten. Das war feige! Amnesie! Wie billig! Ich verachtete mich selbst.
„Du musst dich nicht entschuldigen“, erwiderte Louis nach einer kurzen Pause und seine Stimme klang rau, aber sehr sachlich. „Eigentlich wollte ich mich bei dir entschuldigen.“
Ich sah verwirrt auf. „Warum das denn?“ Du hast dir die halbe Nacht um die Ohren geschlagen, nur weil ich ein Stück Kuchen zu viel hatte – was gibt es da zu entschuldigen?
„Ich hätte deinen Zustand nicht ausnützen dürfen.“ Jetzt war er es, der wegsah.
Verständnislos schüttelte ich den Kopf. „Hast du nicht.“ Es war doch schön! Ich biss mir auf die Zunge. Sag jetzt nichts Falsches, Ell.
„Aber die Situation hätte dich in Schwierigkeiten bringen können. Das hätte ich nicht zulassen dürfen.“
„Hast du nicht“, wiederholte ich. „Ich hätte mich schon ganz alleine in Schwierigkeiten gebracht.“
„Ja, dafür hast du wohl wirklich Talent.“ Er blickte mich halb spöttisch, halb niedergeschlagen an. „Jedenfalls war es unpassend und unnötig und generell keine gute Idee und es tut mir leid, dass ich es so weit habe kommen lassen.“
Diese Formulierung gefiel mir nicht. Mein Herz fand, dass es, wenn vielleicht auch unpassend und unnötig, trotzdem eine total gute Idee gewesen war. Aber mein Verstand hatte jetzt die Regie übernommen und ich sagte fest: „Es gibt meiner Ansicht nach jedenfalls nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest. Danke, dass du mit mir auf Polly gewartet hast.“ Das klang unverbindlich. Beinhaltete aber das Geständnis, dass ich mich an diesen Teil des Abends sehr wohl erinnerte. Ist das jetzt gut oder schlecht? fragte ich mich.
Sein neutraler Gesichtsausdruck gab mir keine Antwort darauf. „Kein Problem.“
„Dann ist alles geklärt“, stellte ich fest. Ist es das?
„Genau.“
„Gut.“
„Gut.“
Wir starrten uns unschlüssig an. Ich hätte eine Umarmung nett gefunden, aber das wäre sehr kontraproduktiv gewesen und mein Verstand lief jetzt schon fast Amok, dass ich immer noch hier stand, anstatt mich auf den Rückweg zu machen. Also gab ich mir einen Ruck.
„Gut“, wiederholte ich. „Dann gute Nacht.“ … und ein schönes weiteres Leben, setzte ich im Geiste hinzu und der Gedanke tat mehr weh, als er sollte. Unsinn. Los jetzt.
„Gute Nacht“, sagte Louis mit unbewegter Stimme.
Da er an Ort und Stelle stehenblieb, war es wohl an mir, als erste zu gehen. Wie immer. Ich unterdrückte ein Seufzen und verließ den Stall.
Sehr gut, sagte ich mir auf dem Rückweg ins Hauptgebäude. Alles geklärt. Alles bestens.
Dieses neue Mantra wiederholte ich in den nächsten Wochen so lange, bis ich es fast glauben konnte. Es wechselte sich mit Louis' Worten in meinem Kopf ab, unpassend und unnötig und generell keine gute Idee . Wobei sie gut klangen, wenn ich sie dachte. Wenn ich sie jedoch in meinem Kopf mit Louis' Stimme hörte, hinterließen sie immer noch einen bitteren Nachgeschmack.
Wenn ich ihm begegnete, ignorierte ich ihn, so wie er mich ignorierte. Das mit dem freundlichen Grüßen schenkte ich mir. Dazu hätte ich ihm in die Augen sehen müssen, aber das hätte Wunden aufgerissen, die eigentlich gar nicht existieren sollten.
Langsam – zu langsam für meinen Geschmack – wich der kalte Westwind einem weicheren, der einen ersten Hauch von Frühling mit sich brachte. Der letzte Schnee schmolz und kam nicht wieder. Ich hatte den Dienst in der Lederverarbeitung hinter mich gebracht, und arbeitete nun in der Stoffherstellung. In den ersten vier Wochen wurde mir dort gezeigt, wie man aus Hanf- und Leinenfasern Textilien anfertigte, danach sollte ich beim Einfärben mithelfen.
Zawadi, eine wahrhaft walkürenhafte Amazone mittleren Alters mit langen roten Haaren, überwachte den gesamten Bereich. Sie erklärte mir an meinem ersten Tag in der Färberei mit knappen Worten, was ich zu tun hatte, bevor sie rasch wieder verschwand, um sich ihren Aufgaben in der Weberei zu widmen.
In der Textilfärberei war es, wo ich Dante kennenlernte. Versonnen rührte ich gerade mit einem Holzpaddel in den Bottichen und versuchte, eine Farbveränderung des Stoffes seit dem letzten Umrühren zu erkennen. Ich hatte niemanden hereinkommen hören und erschrak, als
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