Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
mit Tagträumereien über einen gewissen Erntehelfer zu vertreiben. Und der Klang seiner sonoren Stimme war eine angenehme Abwechslung zu den mich sonst ständig umgebenden Frauenstimmen. Ich stellte fest, dass ich mich richtig auf den nächsten Tag freute.
„Ich habe über deine Geschichte nachgedacht“, gestand ich Dante am nächsten Tag.
„Welche?“, wollte er wissen. „Die über Karl I. von Spanien und seinen schwarz tapezierten Palast?“
Ich verneinte. „Die über dich und Philippa.“
Plötzlich kam ich mir sehr indiskret vor und schämte mich, in anderer Leute vergangenem Liebesleben herumzuwühlen, aber als Dante aufblickte, sah ich seine Augen amüsiert glitzern.
„Nun?“, fragte er.
„Wäre es nicht besser gewesen, sie ziehen zu lassen? Wärest du nicht irgendwann darüber weg gekommen und hättest ein neues Leben anfangen können, woanders, in Freiheit?“
Er lachte. „Das meint mein Sohn auch immer. Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut, sagt Perikles – und wäre es mutig gewesen, wieder nach Hause zu gehen und mein altes Leben wiederaufzunehmen?“
Ich übersprang den Perikles geistig, weil ein anderes Wort meine Aufmerksamkeit in Beschlag genommen hatte.
„Dein Sohn? Du hast einen Sohn mit Philippa?“, fragte ich verwundert. Das passte nicht zusammen.
„Nein, um Himmels Willen, hast du nicht zugehört gestern?“, rügte mich Dante. „Sie hätte doch ihre der Göttin gelobte Jungfräulichkeit nicht aufgegeben, schon gar nicht für mich!“
Ich entschuldigte mich eilig für meine unbedachte Äußerung.
„Schon gut“, sagte er milde. „Ich habe mich auch nicht korrekt ausgedrückt. Nicht mein leiblicher Sohn ist es, der meine Entscheidung in Frage stellt, sondern Louis, mein Pflegesohn.“
Dante – Pflegesohn – Louis – Großvater?
Entgeistert ließ ich mich auf den Schemel plumpsen. All diese Puzzlestücke purzelten durch mein Gehirn, weigerten sich aber hartnäckig, ein stimmiges Bild abzugeben.
„Alles in Ordnung?“, fragte Dante und sah mich prüfend an.
„Völlig“, versicherte ich und rieb meine Stirn, als ob ich die Puzzleteile damit an die richtigen Stellen hätte schieben können. „Woher … wie kommst du zu einem Pflegesohn?“, fragte ich ungeschickt.
„Hm, und ich hatte gehofft, wir könnten über den Freiheitsbegriff und seine Interpretation in den vergangenen zweitausend Jahren diskutieren“, brummelte er in seinen Bart, aber ich sah an seinen Augen, dass er sich über mich lustig machte.
„Später“, versprach ich.
„Er ist ein Findelkind. Ich habe ihn gefunden und quasi adoptiert“, sagte Dante schlicht.
„Wie das?“, wollte ich wissen.
„Das ist eine längere Geschichte“, meinte er zögerlich.
„Nun, Zeit haben wir genug.“ Ich würde mich jetzt nicht davon abbringen lassen. Ich wollte die Wahrheit wissen.
Er schritt langsam und nachdenklich die Tröge ab, bevor er endlich zu erzählen begann. „Es war im Frühling vor einundzwanzig Jahren. Ich war auf dem Weg zur Arbeit und ritt gerade durch ein Waldstück, da hörte ich plötzlich etwas ganz erbärmlich schreien, also stieg ich ab und ging dem Geräusch nach, bis ich einen Säugling hinter einem Gebüsch auf dem Boden fand. Einen kleinen Buben. Der Wildlederumhang, in den er eingewickelt war, und die Nähe zu Themiskyra legten den Verdacht nahe, dass er ein unerwünschter Amazonensohn war, der ausgesetzt worden war, anstatt ordnungsgemäß zu seinem Vater gebracht zu werden.“
Wut kochte so unvermittelt und grell in mir hoch, dass mein Hocker mit einem lauten Knall nach hinten umkippte, als ich aufsprang. „Nein.“
„Die Amazonen entledigen sich ihrer Söhne normalerweise ja nicht auf diese Weise“, versuchte Dante, mich zu beruhigen. „Ich wusste, dass er nicht überleben würde, wenn sich keiner um ihn kümmern würde – es war ohnehin ein Wunder, dass er noch keinem Wolfsrudel zum Opfer gefallen war – deswegen nahm ich mich seiner an.“
Zum Glück. Ohne meine Augen von Dante abzuwenden, stellte ich den Schemel wieder auf und nahm Platz.
„Er wuchs und gedieh und ich gewann ihn lieb. Vor den Amazonen verheimlichte ich den Kleinen. Ich fürchtete, dass die Frau, die ihn damals ausgesetzt hatte, sich rächen würde, falls bekannt würde, was ich – und vor allem, was sie getan hatte. Die anderen Arbeiter kannten natürlich die wahre Geschichte – sie halfen mir, wo sie konnten, den Kleinen aufzuziehen. Ich konnte ihnen vertrauen. Zu dieser Zeit
Weitere Kostenlose Bücher