Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
sein.
„Hallo“, erwiderte ich etwas steif. „Danke, dass ich hier bleiben kann.“
„Ist mir ein Saujagdfest.“
Ehe ich mich über die zweifelhafte Bedeutung dieses Satzes wundern konnte, betätigte sie einen Schalter, der neben der Tür an der Wand angebracht war. Plötzlich geblendet blinzelte ich nach oben und sah eine grell leuchtende Glühbirne in einem hellgrünen Stofflampenschirm.
„Licht“, sagte ich entgeistert und deutete mit dem Zeigefinger nach oben. „Strom.“
„Jep“, sagte Polly unbeeindruckt und fing an, im Raum umherzulaufen, um mir alles zu zeigen. „Dir gehören alle Sachen auf der linken Seite, das Bett, der Schrank und die Regale. Die Sachen in der Mitte gehören uns beiden. Fenster, Tisch, Teppich.“
Das war einfach zu merken – meine Seite war offenbar die leere, wohingegen der Boden auf Pollys Seite mit ineinander verschlungenen Kleidungsstücken, fliegenden Zetteln und einer Vielzahl von Büchern übersät war. Die Sache mit der Elektrizität interessierte mich sowieso weit mehr als das Mobiliar, aber ich kam nicht zu Wort.
„Wenn du lesen willst, kannst du dich aber auch gerne bei meinen Büchern bedienen. In der Bibliothek gibt’s noch mehr davon. Die ist ganz oben, im dritten Stock. Deine Schmutzwäsche kannst du hier in die Truhe tun. Die bringen wir dann einmal die Woche hinüber in die Waschküche.“
Dank bunter Stuhlkissen und großer Grünpflanzen wirkte das Zimmer trotz der metallenen Außenwände gemütlich, nicht zuletzt wegen der Vielzahl von selbstgemalten Pferdebildern, die die Wände bedeckten. Sie allein missachteten die gedachte Grenze und hatten sich auch auf die linke Seite des Zimmers ausgebreitet.
Während ich mich im Raum herumdrehte und alle Eindrücke in mich aufnahm, plauderte Polly fröhlich weiter. „… gebe ich dir zum Duschen solange eins von meinen Handtüchern.“
In diesem Augenblick stieg ich gedanklich wieder in die Unterhaltung ein, da mein Gehirn ein verheißungsvolles, mittlerweile aber fast in Vergessenheit geratenes Reizwort registriert hatte.
„Duschen?“, rief ich. Nun war ich es, die große Augen machte. „Es gibt Duschen ?“
Polly, die mir das Handtuch hinhielt, sah mich entrüstet an, fast so als wäre ich hier die Hinterwäldlerin, und schüttelte fassungslos den Kopf.
„Natürlich gibt es Duschen! Ich bringe dich gleich hin. Lass mich nur noch kurz …“ Sie drückte mir ein Stück Seife in die Hand und stöberte in ihrem Schrank herum, um kurz danach einen Naturschwamm, eine Holzbürste und zwei Glasfläschchen zutage zu befördern. „Hier. Das helle ist das Shampoo, das andere Spülung.“
Das war zu schön, um wahr zu sein. Die letzten Monate hatte ich meine Haare nur mit medizinischem Shampoo gegen Haarausfall aus Apothekenbeständen gewaschen. Was ich nun an Haaren am Kopf hatte, ähnelte eher einem Gestrüpp. Staunend nahm ich die Fläschchen in die Hand.
„Woher hast du das?“, wollte ich wissen.
„Machen wir selber“, meinte Polly und legte noch ein frisches, zusammengelegtes Nachthemd auf meinen Stapel. „Wir machen alles selber. “
„Wegen des Stroms …“, setzte ich erneut an, da schob sie mich schon vor sich her aus dem Zimmer, den Gang entlang und drei Türen weiter wieder in einen anderen Raum hinein, der sich als Bad entpuppte, als sie einen Lichtschalter betätigte. Alles war weiß gekachelt und blitzte vor Sauberkeit.
Ich genoss die schönste Dusche meines Lebens. Mit fast unerträglich heißem Wasser schrubbte ich mich in einer der Duschkabinen mehrfach von Kopf bis Fuß ab. Ich spülte Citey, Underground und Lenno von meiner Haut, immer wieder, bis ich mich rot wie ein Hummer durch den Dampf zu meinem Handtuch tastete.
Ich hängte mir mein Amulett wieder um und schlüpfte in das Nachthemd, das Polly mir überlassen hatte. Es roch nach Frühlingswind und war ein ganzes Stück zu kurz.
Nachdem ich die Toilette aufgesucht hatte, wo ich den Luxus einer Wasserspülung vorgefunden hatte, begutachtete ich mich im Waschraum vor einem Spiegel, während ich Zähne putzte. Ich hatte einen blauen Fleck auf der linken Wange von dem Schlag, den Lenno mir versetzt hatte. Ansonsten sah ich erstaunlicherweise ganz gut aus. Der Tag im Wald und in der Sonne hatte mir offenbar gut getan. Ich hatte ein bisschen Farbe bekommen und meine Augen glänzten. Naja, vielleicht spiegelte sich auch nur der Wahnsinn darin – so viele Fragen brannten mir auf der Seele.
Auf einmal hörte ich eine Tür
Weitere Kostenlose Bücher