Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
hatte ich mich etwas beruhigt und meine Neugierde war wieder aufgekeimt.
„Alles“, erwiderte sie. „Naja, alles, was wir hier machen können und nicht von den anderen Gemeinschaften im Austausch bekommen.“
„Gemeinschaften?“
„Von den anderen Amazonengemeinschaften“, erklärte Polly.
„Es gibt mehrere Stämme von euch?“
„ Stämme klingt so unzivilisiert. Wir bevorzugen den Ausdruck Gemeinschaften . Wir sind über die ganze Welt verstreut. Das ist die größte Gemeinschaft dieses Landes, hier leben momentan etwa siebzig bis achtzig Amazonen“, führte sie aus, während wir von einem kleinen Foyer durch eine zweiflügelige Tür in eine riesige, sehr funktional wirkende Küche traten.
„Wow“, sagte ich, als Polly auf den Lichtschalter drückte – Edelstahl, poliertes helles Holz und weiße Fliesen blitzten auf. Sie holte Teller und Besteck hervor, dann begann sie, einen der großen Kühlschränke zu durchsuchen, über dessen Funktionstüchtigkeit ich mich schon fast nicht mehr wunderte. Ich stand nur da und versuchte, meine Gedanken zu ordnen.
„Wie kann es dann sein, dass man noch nie von euch gehört hat?“, frage ich schließlich.
„Hat man nicht?“, gab Polly nur ungerührt zurück. „Schande über uns.“
„Naja, ich meine, man kennt die Amazonen, aber als Sage aus lang vergangenen Zeiten. Wenn es euch noch gibt, dann müsste man das doch wissen. Oder hat es euch mal nicht gegeben und ihr habt euch erst später wieder zusammengeschlossen?“
„Doch doch, uns gab's immer schon“, sagte Polly abwesend und ich merkte, dass dieses Gespräch sie langweilte und sie lieber meine Geschichte hören wollte. Aber ich wollte wissen, woran ich war. Sie hatte inzwischen einen großen Laib Brot und einen ganzen gekochten Schinken auf eine der Arbeitsflächen gewuchtet und begann, beides wenig fachgerecht zu zermetzeln. Ich konnte es kaum mit ansehen, wie sie mit den köstlichen Lebensmitteln verfuhr, deswegen nahm ich ihr das Messer aus der Hand und schnitt jeweils zwei gleichmäßige Scheiben Brot und Schinken ab.
„Also, es gibt die Amazonen schon immer“, begann ich wieder.
Polly füllte einen Glaskrug mit Leitungswasser und schenkte uns zwei Gläser ein. „Ja. Aber wir bevorzugen die Natur und vermeiden die Städte. Alles, was wir benötigen, finden wir hier. Rundum gehört uns so viel Land, dass wir sowieso nur ganz selten auf andere Menschen treffen.“ Sie runzelte die Stirn und dachte nach. „Ich glaube, die nächstgelegenen Dörfer halten uns einfach für eine seltsame Geheimsekte oder so, das hat Atalante zumindest mal gesagt.“
„Wer ist das?“, wollte ich wissen.
„Unsere Paiti, unsere Anführerin“, antwortete Polly und ich sah ihre Augen vor Stolz aufleuchten. „Meine Mama.“
„Ui, du bist also eine Prinzessin“, sagte ich und schaute sie neugierig an, so als ob dieses neue Attribut sie irgendwie anders aussehen ließe.
Sie zog angewidert die Nase kraus. „Nää, da muss ich ja an rosa Kleidchen und Goldkrönchen und Frösche küssen denken.“ Sie machte einen Gesichtsausdruck, als würde sie am liebsten vor Abscheu ausspucken. „Ich bin ich.“
Ich musste lächeln. Ich konnte sie mir gut als Amazonenkönigin vorstellen, so wie ich sie bisher erlebt hatte: natürlich, selbstbewusst und stolz, und dabei so voller Lebensenergie und Empathie.
„Ich habe auch überhaupt keinen Bock auf den organisatorischen und diplomatischen Kram, um den die Paiti sich kümmern muss. Am liebsten wäre ich den ganzen Tag draußen unterwegs, reiten und Bogen schießen und jagen und fischen und das alles.“ Ihr Blick wurde sehnsuchtsvoll. „Naja, Atalante wird mit Sicherheit 100 Jahre alt, ich habe also noch viele Jahre Zeit, bis ich das Zepter übernehmen muss.“ Sie sah meinen Blick und setzte hinzu: „Metaphorisch gesprochen.“
„Welches …“, ich kniff ein Auge zu im Versuch, mir das Wort ins Gedächtnis zu rufen, „Epor hat Atalante?“
„Die Unbeugsame“, sagte Polly.
„Das klingt irgendwie … ungemütlich.“
„Sie kann auch furchtbar ungemütlich sein, davon kann ich ein Lied singen. Aber unbeugsam zu sein ist eine gute Eigenschaft. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, wenn sie ein Ziel hat, wird sie nichts und niemand davon abbringen, und das ist wichtig, für uns alle, für die Gemeinschaft. Unerfreulich ist es nur dann, wenn du etwas ausgefressen hast oder zum Beispiel nach wiederholter Ermahnung dein Zimmer nicht aufgeräumt hast. Da
Weitere Kostenlose Bücher