Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
nicht. Aber wie ich die Situation einschätzte, hatte ich keine Wahl. Und dass wir unser Ziel möglichst schnell erreichten, war mir auch recht. Das Adrenalin, das mich während meines Erlebnisses mit Lenno aufgeputscht hatte, war verbraucht und jetzt, wo auch die erste Pferdepanik verflogen war, war ich plötzlich unendlich schwach und müde. Ich fühlte ich mich wie betäubt und nur die zunehmenden Schmerzen, die mir der Ritt zufügte, hielten mich wach. Tetra versuchte, mich abzulenken und fragte mich über mein Leben aus, aber ich antwortete einsilbig, weil ich nicht darüber nachdenken wollte – nicht darüber, wie es gewesen war, als die Welt noch in Ordnung war, und schon gar nicht darüber, was geschehen war, seit sie aus den Fugen geraten war.
Meinen Fragen wich sie aus. Sie sagte mir weder, wohin wir ritten, noch, warum sie so seltsam auf meine Halskette reagiert hatte, und das frustrierte mich so, dass ich noch schweigsamer wurde. Ich fand es fraglos super, dass sie mich gerettet hatte, aber ich wurde auch immer misstrauischer. Bin ich mit dem Entschluss mitzukommen vom Regen in die Traufe geraten?
Es schien mir, als ritten wir ewig durch die Nacht. Wir durchquerten Wälder und Wiesen, Auen und Moore, kamen an verwahrlosten Feldern und Weiden mit maroden Zäunen vorbei. Die Sterne leuchteten klarer, als ich es je zuvor gesehen hatte, kleine weiße Stecknadelköpfe im schwarzen Samt des Himmels. Der Mond überschritt seinen Zenit und verschwand hinter Baumwipfeln und Hügeln.
Schließlich sah ich in der Ferne ein großes Anwesen mit drei verschieden hohen Türmen auftauchen. Ich glaubte zuerst, eine optische Täuschung zu erleben, aber das Bild blieb: Die Türme waren tatsächlich beleuchtet. An ihren Spitzen und auf halber Höhe befanden sich rot leuchtende Positionslichter und sie flackerten nicht.
Kunstlicht , dachte ich, das kann nicht sein.
Zwar existierten immer noch überall alte Anlagen zur Stromerzeugung, aber sie wurden nicht mehr betrieben, abgesehen davon fehlte das Netz, um den Strom weiterzuleiten. Außerdem wäre keiner so dämlich, den wertvollen Strom für so etwas Unnützes wie diese Lichter zu verwenden, wo heutzutage doch sowieso keine Flugzeuge mehr unterwegs waren.
„Was ist das?“, frage ich und zeigte auf das Gebäude.
„Das, liebe Ell, ist unser Ziel“, erwiderte Tetra, nicht ohne Stolz.
„Aber was ist es – beziehungsweise, was war es früher?“
„Bis vor gut 20 Jahren war es ein Heizkraftwerk, das dann aber aufgegeben wurde. Diese Gegend hatte stark mit Abwanderung zu kämpfen. Es gab nicht genug Arbeit und so zog es immer mehr Menschen in die Großstädte – und das Kraftwerk wurde nutzlos an dieser Stelle. Wir haben es damals gekauft und unseren Bedürfnissen angepasst.“
Ich schüttelte nur den Kopf. Das war alles zu absurd.
Wir kamen näher und ich erkannte, dass der Komplex aus vielen, ineinander verschachtelten Gebäuden zusammengestellt war. Die Türme entpuppten sich als hohe graue Schlote, die dem Ganzen einen festungsartigen Charakter verliehen. Dazu trug die Tatsache bei, dass das Anwesen mit einer etwa fünf Meter hohen Mauer umgeben war.
Schließlich gelangten wir über einen Kiesweg zu einem breiten Tor, das von Fackeln erleuchtet war und vor dem zwei Gestalten Wache hielten. Sie waren ähnlich gekleidet wie Tetra, mit dunklem Kapuzenumhang, Lederhosen und Stiefeln. Eine von den beiden war mit einer Lanze bewaffnet und hatte einen Revolver im Gürtelholster, die andere trug eine Armbrust im Anschlag, die sie aber senkte, als sie Tetra erkannte. Ich war zwar seit den ersten Unruhen und den vergeblichen Versuchen der damals noch operierenden Armee, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, an den Anblick von Waffen gewöhnt, aber er machte mich trotzdem nervös. Ich schalt mich, denn immerhin waren das die Guten. Vermutete ich. Dennoch – wohl war mir nicht.
„Willkommen zurück!“, sagte eine der Personen und abermals nahm ich überrascht zur Kenntnis, dass es sich um eine Frauenstimme handelte.
„Danke“, erwiderte Tetra und ich konnte hören, dass sie nun auch ziemlich erschöpft klang.
„Konntest du ihn einholen?“, fragte die andere Gestalt, auch eine Frau.
„Ja. Ich habe ihn bei der alten Mühle vor dem Basowald erwischt“, antwortete meine Retterin und ich schauderte unwillkürlich. Tetra bemerkte, dass die beiden mich neugierig musterten. „Das ist Ell. Ell, das sind Johanna und Tawia.“
Die beiden lächelten mich an und ich nickte
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