Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
umzulagern.
Ich wurde wütend und rief von der Hebebühne herab: „Ach so, du meinst, ich käme mit der harten Realität des richtigen Lebens nicht zurecht, weil ich mit einem goldenen Löffel im Mund aufgewachsen bin und immer eitel Sonnenschein in meinem Leben war? Okay, abgesehen davon, dass mich meine Mutter verlassen hat, als ich ein Kleinkind war, die Welt um mich zusammengebrochen ist, meine beste Freundin in den Wirren des Verfalls ums Leben kam, unser Haus überfallen und mein Vater ermordet wurde …“
Zu spät merkte ich, was ich gesagt hatte und biss mir auf die Lippe. Ich hatte mich verplappert und nicht an die mit Atalante vereinbarte offizielle Geschichte gehalten. Aber ich war mir nicht sicher, ob er überhaupt wusste, dass ich die Tochter der Amazonenanführerin war, und wenn er allen gegenüber so schweigsam war, musste ich wohl nichts befürchten. Aber trotzdem war es dumm von mir gewesen, mich so hinreißen zu lassen.
Louis sah betroffen zu mir auf. „Das tut mir leid. Aber wie auch immer, meine Geschichte , wie du sie nennst, steht hier nicht zur Debatte.“ Er stellte die Maschine an, stieg auf die Plattform und arbeitete weiter. „Frag was anderes.“
Ich schätze, das war ein Friedensangebot, also schluckte ich meinen Groll hinunter. Angestrengt durchsuchte ich die Fragen, die in meinem Kopf herumwirbelten, nach einer, die nicht mit seiner Vergangenheit zu tun hatte.
Schließlich kam ich auf: „Was willst du später mal machen?“
„Ich werde von hier abhauen, sobald ich kann.“ Diese Antwort kam schnell und klang sehr überzeugt.
„Und wann kannst du? Was hindert dich, deinen Korb jetzt sofort fallen zu lassen und zu gehen?“, wollte ich wissen.
„Ich muss mich hier um jemanden kümmern.“
„Um wen?“
„Um meinen Großvater“, antwortete er nach einer kleinen Pause, in der er wohl überlegt hatte, ob er mir diese kolossal kopfbelastenden Informationen preisgeben durfte. „So lange er lebt, bleibe ich hier.“
„Warum nimmst du ihn nicht mit?“, bohrte ich weiter.
„Er möchte nicht weg.“
„Aber du möchtest weg.“
„Das ist wohl offensichtlich.“
„Wohin?“
„Irgendwohin. In die Stadt.“
„Nach Citey?“
„Ja.“
„Von dort komme ich her und ich kann es nicht empfehlen.“
„Alles ist besser als hier“, erwiderte Louis düster.
„Hm.“ Das konnte ich wohl schlecht beurteilen, weil ich nicht in seiner Situation war. Aber einer Sache war ich mir sicher: „Alles ist besser als Citey.“
„Hm“, machte nun er.
Was willst du eigentlich? regte sich mein Verstand auf. Du hast doch selbst festgestellt, dass er nicht hierher gehört. Unterwäschemodeln auf dem Uranus und so!
Ja. Trotzdem.
„Warst du schon mal dort?“, fragte ich.
Er stieß ein frustriertes Lachen aus. „Citey ist einige Tagesritte entfernt. Wie sollte ich da schon mal gewesen sein.“
„Hast du nie Urlaub? Nie frei?“, wollte ich wissen und kam mir dabei ziemlich blöd vor.
„Ein Tag in der Woche ist arbeitsfrei. Aber an einem Tag kommt man nicht besonders weit. Zumindest nicht bis Citey. Etwas wie Urlaub gibt es nicht. Ich hätte weggehen und hoffen können, dass sie mich bei meiner Rückkehr wieder einstellen.“
„Aber das wolltest du nicht wegen deines Großvaters.“
„Genau.“
„Das heißt, du warst noch nie irgendwo anders? Du bist nie aus der Gegend hier herausgekommen?“ Ich hoffte, dass das nicht irgendwie überheblich klang. Aber ich fand es unglaublich, dass jemand in seinem Alter immer nur hier gewesen war. Klar, in Citey reiste jetzt auch niemand mehr, und wenn, dann nannte man das heutzutage Flucht . Aber früher …
„Nein“, antwortete er knapp.
„Naja, hier ist es auch sehr schön“, sagte ich lahm, im Versuch, die Konversation wieder in positivere Bahnen zu leiten. „Zumindest landschaftlich.“
Er erwiderte nichts und ich wusste auch nicht, was ich noch sagen sollte.
„Erzähl mir von Citey“, forderte Louis mich schließlich auf und klang dabei ein bisschen widerwillig, so, als wolle er zwar gerne etwas erfahren, mich aber zugleich ungern um etwas bitten.
„Puh!“, machte ich und überlegte. „Vor oder nach dem Verfall?“
„Vor.“
Ich begann zu erzählen, berichtete erst ganz allgemein von den verschiedenen Vierteln und Sehenswürdigkeiten, dann auch von persönlichen Erlebnissen in meiner Heimatstadt. Louis schwieg die meiste Zeit und stellte nur ab und an Zwischenfragen.
Als das Hornsignal erklang, sagte ich
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