Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
schien mich unter der Bettdecke festgetackert zu haben.
„Ell, komm schon“, drängte Polly, die schon gestiefelt und gespornt im Zimmer stand. „Areto macht dich zur Schnecke, wenn du nicht pünktlich mit der Arbeit anfängst.“
„Ich kann nicht.“ Mein Herz war tonnenschwer, mein Leben sinn- und freudlos. Warum also überhaupt aufstehen? Ich hätte heulen können.
„Ich habe auch keinen Bock zu ernten. Aber wir müssen nun mal.“
„Das hat nichts mit der Ernte zu tun …“, begriff ich. Sondern damit, dass ich von meinem Teamkollegen gemobbt werde.
Du wirst ja wohl nicht zulassen, dass ein 'Shim dir den Tag versaut, regte sich meine innere Amazone auf. Du stehst jetzt auf und gehst da raus. Und machst verdammt nochmal das Beste draus. Was hast du schon zu verlieren?
Nicht das Geringste. Ich atmete tief durch, nahm alle Kraft zusammen und schlug die Decke zurück. „Ich mache verdammt nochmal das Beste draus.“
„Genau!“, stimmte mir Polly erleichtert zu.
„Morgen!“, raunzte ich Louis auch heute an, wunderte mich aber schon gar nicht mehr, dass außer einem angedeuteten Nicken keine Reaktion kam. Dennoch wurmte es mich.
Sprich mit mir. Sag irgendwas. Was habe ich dir getan, dass du mich wie Luft behandelst? Ich versuchte, meine telepathischen Kräfte zu mobilisieren und beschoss ihn unentwegt mit gedanklichen Befehlen und Fragen – ich war mir seit meiner Kindheit sicher, dass ich sie besaß, ich musste nur noch herausfinden, wie ich sie willentlich einsetzen konnte – aber wie immer funktionierte es nicht. Oder es funktionierte und ich konnte nur seine Gedanken nicht empfangen. Oder aber es funktionierte und er wollte einfach nicht reagieren. Jedenfalls erhielt ich keine Antwort.
Als die mentale Anstrengung die körperliche zu überwiegen drohte, gab ich es auf und begann stattdessen lethargisch, geerntete Äpfel zu zählen, aber irgendwo zwischen 442 und 456 verzählte ich mich, kam raus und gab auch das auf. Irgendwann kam mir der Gedanke, dass mein Mitpflücker vielleicht deswegen so still und seltsam war, weil er in seinem Leben zu viel gepflückt oder gesägt hatte. Das musste ihn mental so reduziert haben, dass er nicht mal mehr mit den simpelsten Grußformeln zurechtkam. Womöglich würde ich auch so enden wie Louis, wenn ich mich nur lang genug mit dieser Arbeit beschäftigte.
Abrupt drehte ich mich auf der Hebebühne zu ihm um und fragte ohne nachzudenken: „Seit wann machst du das hier schon?“
Er blickte sich überrascht um. Um seinen Mund sah ich einen bitteren Zug. „Warum willst du das wissen?“, fragte er abschätzig und fuhr mit seiner Arbeit fort.
Das fand ich sehr unhöflich, aber ich war bereit, es auf die geistige Reduktion durch die stumpfsinnige Arbeit zu schieben. Da ich unter Umständen selbst bald in ähnlicher Verfassung sein würde, wollte ich nicht zu hart urteilen. „Es ist nur eine Frage. Seit wann arbeitest du für Themiskyra?“
„Eine Weile“, erwiderte er kurzangebunden.
„Eine lange Weile oder eine kurze Weile?“, bohrte ich weiter.
Ich dachte schon, dass er gar nicht mehr antworten würde, aber nach ungefähr einer Minute stellte er seinen Korb mit einem lauten Rumpeln ab und fuhr mich an: „Was kümmert es dich überhaupt? Du brauchst nicht mit mir reden. Es steht mir ohnehin nicht zu, dir zu antworten.“
Da war es wieder, dieses seltsame Z ustehen , das schon Tetra verwendet hatte. Er betonte es so ironisch, als wisse er genauso gut wie ich, wie blödsinnig seine Aussage war. Wer benutzte dieses Wort überhaupt noch!
Einen Moment war ich sprachlos, dass er mir mit so offener Feindseligkeit begegnete, dann schnappte ich: „Stimmt, kümmert mich nicht.“
Ich hatte keine Lust, meine Gutherzigkeit ins rechte Licht zu rücken. Wortlos arbeiteten wir etwa zwei Stunden lang vor uns hin, bis die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte und ich beschloss, dass es Zeit fürs Mittagessen sei.
„Pause?“, fragte ich knapp und Louis nickte.
Während ich unter meinem Apfelbaum ein großzügig mit Schafskäse und Schinken belegtes Vollkornsandwich verzehrte, beobachtete ich ihn, wie er bei seinem Pferd sein übliches trockenes Brot aß. Mein Ärger wandelte sich langsam in … ich konnte es nicht benennen. Eine Mischung aus Mitleid und Neugier traf es vielleicht am besten. Ich stand auf und verstaute den Rest meines Proviants wieder in der Satteltasche. Nicht, weil mir der Appetit vergangen wäre, aber weil ich irgendwie ein
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