Themiskyra – Die Suche (Band 3) (German Edition)
leid, dass meine Tochter Sie überfallen und sich ungefragt bei Ihnen eingenistet hat? Ich hoffe, dir ist klar, was du diesen Menschen angetan hast. Und ich gehe davon aus, dass du keiner deiner Schwestern ein Sterbenswörtchen über den Wohnort des Clans erzählen wirst.“
„Sonst?“
„Sonst werden sie zwangsläufig vom Zuchtprogramm ausgeschlossen, wie du es immer so treffend nennst. Aber nachdem du nicht mal Victoria eingeweiht hattest, denke ich, dass dir das bewusst sein dürfte.“
Okay, ich musste mich wohl damit abfinden, dass meine Mutter alles wusste. Also erzählte ich, frei von der Leber weg, erzählte alles, was ich erlebt und was mich bewegt hatte, von Mafia und Menschenhändlern, von meinen anfänglichen Reibereien mit Ces, der Knutscherei mit Gio, sogar von Will. Ich erzählte von unserem verkohlten Haus und vom Grab meines Vaters, von meinem Vorhaben, pünktlich wieder in Themiskyra zu erscheinen, und was mich davon abgehalten hatte.
„Kennst du die kleine Kirche in der Neustadt? Sie ist mitten in eine Häuserzeile eingebaut …“
„Natürlich. Dort wurden dein Vater und ich getraut – nicht, dass mir viel daran gelegen hätte, aber ihm war es wichtig und der Pfarrer war irgendein Bekannter, der das Ganze ohne Papierkram durchgezogen hat.“ Sie wirkte versonnen. „Die Marienstatue auf dem Seitenaltar hat mich an Artemis erinnert. Wenn ich in der Gegend war, habe ich sie immer besucht.“
Mein Mund war wieder trocken geworden. „Hast du mich denn auch mal dorthin mitgenommen?“
„Mit Sicherheit. Wir konnten uns keinen Babysitter leisten, ich hatte dich immer überall dabei.“
„Oh.“ Ich wusste nicht, ob ich erleichtert oder erschüttert sein sollte, dass sich dieses Mysterium so einfach in Luft aufgelöst hatte. „Sie hat mir zu verstehen gegeben, dass ich die Suche nicht aufgeben soll.“
„Sie sagt wohl jeder, was sie hören möchte“, erwiderte meine Mutter spöttisch. „Du siehst müde aus. Leg dich schlafen, wir können morgen weiterreden.“
„Dann kann ich noch ein paar Tage bleiben?“
„So lange du willst.“
Eigentlich hatte ich vorgehabt, Dante gleich am nächsten Morgen in der Färberei zu besuchen, aber meine Mädels und Schwestern nahmen mich so in Beschlag, dass ich erst am Abend Zeit dazu fand. Nach dem Essen spazierte ich den Weg zu den Arbeiterquartieren entlang und das, wie ich feststellte, zum ersten Mal ohne Angst, entdeckt zu werden und mich in diesem Fall den unangenehmen Fragen meiner Schwestern stellen zu müssen. Diese Erkenntnis rauschte mit einer Welle von elementarer Freiheit durch meine Adern und ich spürte, wie sie das fast wahnwitzige Grinsen, das sich seit etwa zwanzig Stunden nicht mehr aus meinem Gesicht vertreiben ließ, noch vertiefte.
Dante saß auf der winzigen Veranda seiner Hütte in der Abendsonne, die fiese Philippa zu meiner Überraschung neben ihm auf der Bank. Sah so aus, als hätte auch sie was von der elementaren Freiheitserkenntnis abbekommen. Sobald er mich sah, sprang der alte Herr auf, umarmte mich fest und wirkte dabei keinen Tag älter als 29.
„Ich hab ihn gefunden“, flüsterte ich, leicht undeutlich, weil meine Mundwinkel immer noch in Richtung Ohrläppchen strebten.
„Davon war ich überzeugt“, erwiderte Dante heiter, bevor er sich rasch erkundigte: „Geht es Louis gut? Ist alles in Ordnung?“
Ich bejahte. „Ich hab ihn unversehrt aus der Stadt rausgeholt. Nur die Haare sind ab, aber sie sind schon wieder am Wachsen.“
Beruhigt kehrte der alte Herr auf seinen Platz neben Philippa zurück und nahm ihre Hand. Und - ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen - Philippa lächelte.
„Hallo Philippa. “
„Hallo Bastardprinzessin. “
Empört fuhr ich meinen Zeigefinger aus, um diese Beleidigung von mir zu weisen, aber ich kam nicht zu Wort.
„Jajaja. Ich weiß. Meine Lippen sind versiegelt. Vorerst.“ Sie blickte mich listig an. „Mit Paiti werden ist es jetzt wohl Essig, was? “
„Ja. Aber ich wollte nie Paiti werden. Polly ist die Richtige dafür.“
„Ach ja? Na, wenn du wüsstest.“
Ich hob nur fragend die Augenbrauen. Keine Ahnung, welche Ränke die Alte jetzt schon wieder schmiedete. „Wohnst du jetzt hier?“
„Tss! Doch nicht in dieser Baracke! Das Seelchen kutschiert mich allabendlich zu den Arbeiterquartieren und holt mich ein paar Stunden später wieder ab.“
„Victoria? Die Seelentiefe , meinst du“, verbesserte ich.
„Pah, diese angebliche Tiefe muss sich noch
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