Themsen, V: Elfenzeit 17: Korsar der Sieben Stürme
bereits eine Geschwindigkeit erreicht, die den Verkehrsfluss nicht mehr hemmte. Rian drehte sich noch einmal um und sah zu den fünf hohen Bürotürmen zurück, die ihre Schatten auf die darunter liegenden Gebäude der Mall warfen, als plötzlich ein Ruck durch die Kutsche ging. Das Gefährt neigte sich nach hinten, und als Rian wieder nach vorne sah, war ihr auch klar, warum.
Der Drache, den sie für einen reinen Laufdrachen gehalten hatte, schwebte vor ihnen durch die Luft, und er hatte die Vorderräder zum Abheben gebracht. Im gleichen Moment, in dem Rian das feststellte, lösten sich auch die Hinterräder, und die ganze Kutsche schwebte über die Straße, anstatt über den Asphalt zu rollen.
»Woa-hey!«, rief Rian begeistert. »Warum hast du nicht gleich gesagt, dass das eine Flugkutsche ist?«
»Die Überraschung ist immer das Beste!«, antwortete der Kutscher grinsend. Er machte eine Geste, und eine schimmernde Halbkugel legte sich über die Oberseite der Kutsche und schloss den Fahrtwind aus, während sie langsam immer höher stiegen und schließlich die Linie der Straße verließen, um über die Esplanade Mall weg hinaus zur Flussmündung zu fliegen, in die Rian in der Nacht zuvor gestürzt war.
Rian erkannte neben ihnen eine Brücke wieder, die sie schon gesehen hatte, als sie am Morgen der Promenade gefolgt war. Auf v-förmigen Stützen ruhend überspannte sie in breiter Bahn von der Esplanade Mall aus den Fluss. Der Kutscher zeigte zur gegenüberliegenden Seite, auf die sie nun zuhielten.
»Achte mal auf die Stelle, wo die Brücke endet. Siehst du die Statue? Das ist der Meerlöwe. Er ist keiner von uns, sondern eine Idee der Menschen. Sie erzählen sich, dass diese Stadt gegründet wurde, weil ein indischer Prinz einen Löwen gesehen hat und das als gutes Zeichen interpretierte. Daher kommt auch der indische Name, den sie benutzen: Singapura – Löwenstadt. Weil aber für Singapur das Meer viel wichtiger ist als irgendwelche Dschungellöwen, haben sie dem armen Tier schlichtweg einen Fischkörper verpasst.«
Rian spähte nach vorne und erkannte die weiße Statue, die neben dem Brückenkopf auf einer Plattform am Ufer eines künstlich wirkenden eckigen Wasserbeckens stand. Hafenkräne und ähnliche Anlagen säumten es. Dahinter erhoben sich hohe Wolkenkratzer, wie die Elfe sie bisher in dieser Höhe und Dichte nur aus Tokio kannte.
»Warum bauen sie so hoch?«, fragte sie laut.
»Weil das hier ein Inselstaat ist«, antwortete der Kutscher. »Wo nicht viel Platz ist, wird in die Höhe gebaut, das ist überall so. Sie versuchen auch, Land dazuzugewinnen – zum Beispiel die ganze Ostküste dahinten ist neu und das Land hier links von uns auch – aber gleichzeitig wird aus dem, was da ist, so viel wie möglich gemacht.«
»Und warum gehen die Leute nicht einfach auf die anderen Inseln oder auf das Festland im Norden?«
»Das ist nicht mehr Singapur. Sie müssten dann jedes Mal über eine Grenze, wenn sie zum Arbeiten oder Einkaufen herkommen. Singapur ist ein Inselstaat, ein eigenes Reich, unabhängig von allen anderen. Genau wie Temasek, aber da gehört noch ein wenig mehr dazu.«
»Temasek ist ein eigenes Reich? Aber es gehört zu Jangala, oder?«
»Die Herrscher von Jangala hätten es gerne so. Aber tatsächlich haben sie in Temasek nicht viel zu sagen. Und weil jeder nach Temasek kommt, um dort Handel zu treiben, und keiner will, dass das gestört wird, bleibt es dabei.« Er grinste.
Rian zeigte auf die Hafenanlagen an dem Becken, über das sie gerade hinwegflogen. »Ist das der Hafen? Er sieht so leer aus.«
»Nein, das hier war nur früher mal ein Teilhafen. Jetzt gibt es für die Seeschiffe die Hafenanlagen auf und gegenüber von der Insel Pulau Brani am Keppel Harbour und den neuen im Westen, in Pasir Panjang. Über Keppel Harbour werden wir noch fliegen, das ist die Wasserstraße zwischen der Hauptinsel und den Inseln Pulau Brani und Pulau Blakang Mati, das sie jetzt Sentosa nennen. Interessant, oder? Früher ein Piratenloch, in dem Mord und Totschlag herrschten, und jetzt ein Erholungsgebiet.«
»Piraten? Gibt es die heute noch?«
Der Kutscher zuckte die Achseln und griff unter seinen Sitz. »Moment, da ruft mich jemand.« Er hob eine handtellergroße Muschel hoch, tippte sie an. Daraufhin öffnete sie sich weit. Als der Kutscher sie anschließend an die Seite seines Kopfes hielt und leise zu sprechen begann, staunte Rian. Es schien, als habe Temasek eine sehr einzigartige
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