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Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Titel: Thennberg oder Versuch einer Heimkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gyoergy Sebestyen
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vielleicht etwas anderes; vielleicht plauderte Hochwürden Horowitz, während er die Messe las, nebenbei mit dem irren Ambros, der den Ministranten spielte; Hochwürden Horowitz schien in der leeren Kirche mit dem irren Ambros vor dem Allerheiligsten zu tanzen.
    Heinrich Moravec wartete. Nein, nicht in den Beichtstuhl, sagte Hochwürden Horowitz später, diese Beichtstühle, mein Gott, hart, finster, und dann das Gitter, ein Symbol, aber ich kenne ja alle Gesichter, ich kann sie sehen, auch wenn ich sie nicht sehen kann, wozu also das Gitter, sagte Hochwürden Horowitz, komm, mein Sohn, in der Sakristei haben wir es ruhig, nimm Platz, mein Sohn, sprich, mein Sohn, im Zustand der Todsünde lebst du immer noch, nicht wahr? Heinrich Moravec sagte: Sie wird mich verlassen, sie wird mich verraten, man wird mich einsperren, man wird sie auslachen, was soll ich tun? Sie ist verrückt geworden, sagte Heinrich Moravec, redet nur so dahin, vielleicht ist der junge Kranz wach gewesen, saß oben im Schlafzimmer, horchte, vielleicht hat er alles gehört, sie wird alles ausplappern, vielleicht hat sie es bereits getan, um den Moravec loszuwerden, den alten Moravec, oder bloß um ihn zu ärgern, oder um damit zu prahlen. Den alten Moravec wird sie nicht nur verlassen, sondern vorher verraten, vor das Gericht bringen, in den Kerker, eine kleine Hure, unersättlich. (Hochwürden Horowitz sagte: Nicht doch, mein Sohn.) Da haben wir es, das erste Mal kommt ein junger Mann ins Haus, sie schläft das erste Mal unter einem Dach mit einem jungen Mann, und schon ist sie verrückt, verrückt nach ihm, verrückt nach jedem, der ihr zwischen die Beine greift – und ich liebe sie, aber was soll’s, was hat sie davon, jeder ist ihr lieber, der jünger ist als Moravec, auch dieses Muttersöhnchen ist ihr lieber, dieser Hergelaufene, dieser Degenerierte. Ich möchte sie heiraten, warum darf ich sie nicht heiraten; wenn ich sie heiraten könnte, wäre alles einfach, wir leben ja wie Mann und Frau; wenn ich sie heiraten könnte, wäre es keine Sünde mehr, keine Gefahr mehr, trauen Sie uns doch, Hochwürden. (Bist du fertig? fragte Hochwürden Horowitz leise, er war alt, flüsterte, stützte den runzeligen kleinen Kopf auf die Hand, bist du fertig? Also dann: Sie ist fünfzehn, nicht wahr? Sie ist deine Tochter, nicht wahr? Du hast sie zur Sünde verleitet, nicht wahr?) Heinrich Moravec sagte: Es wird etwas Schlimmes geschehen.
    Er ging. Auf der Straße kam ihm Katherina Mohaupt entgegen. Er grüßte. Daheim humpelte er in den Keller hinunter, schloss die Tür hinter sich, stellte die kleine Kiste auf den Tisch, klappte den Deckel hoch und nahm die kurze, stämmige Pistole in die Hand.
    Sie war ein russisches Fabrikat, eine sowjetische Armeepistole, die ein später an der Ostfront verschollener Kamerad des Vitus Wallach, ein wortkarger Junggeselle namens Manfred Taub, irgendwo bei Minsk zusammen mit der passenden Munition erbeutet und während seines letztenUrlaubs, neunzehnhundertvierundvierzig, dem alten Baron Ammer für ein kleines Fass Kirschschnaps verkauft hatte. Sie war vom Baron Ammer dem Heinrich Moravec sozusagen testamentarisch vermacht worden, das heißt vom alten Ammer drei Wochen vor seinem Dahinscheiden dem Heinrich Moravec persönlich übergeben worden, unter vier Augen, wie es sich gehörte: Offiziell durfte der Baron ohne Waffenschein nicht einmal in seinem Testament eine Waffe besessen haben. (Offiziell, testamentarisch, hatte Heinrich Moravec sämtliche Hirschgeweihe und ausgestopfte Trappen und Fasane erhalten, mit denen der alte Ammer die Jagdhütte auf dem Eichelberg ausgeschmückt hatte, ansehnliche Exemplare, deren eines, das Geweih eines Kapitalhirsches, Heinrich Moravec über dem Eingang seines Hauses hatte anbringen lassen.) Damals hatte der Baron auch erzählt, wie Manfred Taub im Februar dreiundvierzig zu ihm gekommen sei mit der Frage, ob er sich nicht für eine Waffe interessiere, die billig zu haben sei, für einen Spottpreis oder für etwas Trinkbares, eine russische Armeepistole samt Munition, klein, leicht zu verbergen, allerdings auch leicht zu finden, der frühere Besitzer der Pistole, ein Lehrer aus Minsk, Invalide des Ersten Weltkriegs übrigens, hätte sie sorgfältig versteckt gehabt am Boden eines Korbes unter alten Papieren im Keller, doch sei sie anlässlich einer Hausdurchsuchung gefunden worden, und der Lehrer – Manfred Taub habe, so redete der Baron weiter, dann nichts mehr gesagt, habe sich aber

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