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Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Titel: Thennberg oder Versuch einer Heimkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gyoergy Sebestyen
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noch nicht. Katherina Mohaupt sah die vier Reiter durch die offene Tür der Apotheke, vielleicht hatte einer von ihnen Erich Mohaupt erschossen, vielleicht hatte einer von ihnen Erich Mohaupt geschlagen, sie sah das Gesicht ihres Mannes in der Luft wie auf Glas gemalt, das Gesicht eines Toten. Der Richter Mohaupt sagte zu ihr: Die tun dir nichts. Er saß jeden Vormittag in der Apotheke. Sie schüttelte den Kopf, dachte: Der erste bringt die Pest, der zweite bringt den Krieg, der dritte bringt die Hungersnot, der vierte bringt den Tod. Der Richter Mohaupt sagte: Vier junge Leute, sie reiten durch ein Dorf, es ist nicht ihr Dorf, ein fremdes Dorf namens Thennberg ist für sie ein Haufen von Häusern, sonst nichts, die Dörfer in Russland sind anders, soll ich dir über die russischen Dörfer erzählen? Katherina Mohaupt schüttelte nur den Kopf. Liselotte Moravec, daheim, in der Küche, kochte Kräutertee, hörte das Klappern der Hufe, wollte rufen, den Kazetler Richard Kranz aus dem Schlafzimmer herbeirufen, er war ja aufgenommen worden, um das Haus zu beschützen, sie rief aber nicht, irgendetwas hatte ihr die Kehle verschnürt. Sie lief zur Tür, sperrte ab. Im Schlafzimmer des Heinrich Moravec schlief Richard Kranz, wachte auf, ging zum Fenster, sah die vier kleinen Russen, er sah sie nicht deutlich, seine Augen waren noch nicht aufgetaut, waren noch wie ausgekühlt, zusammengeschrumpft, zu Eis gefroren. Seit zwei oder drei Jahren war er, wenn er überhaupt zum Schlafen gekommen war, aus dem Schlaf mit toten Augen erwacht, beinahe blind, fünfzehn Minuten brauchte er, um wieder klar sehen zu können. Vielleicht war es bloß Vitaminmangel.
    Fünfzehn Minuten brauchte er, er legte sich zurück in das Bett, in dem er damals gelegen war auf dem Körper der Helene Wallach, schloss die Augen, hörte ein Geräusch, irgendwo im Haus war irgendeine Blechplatte auf den Boden gefallen, vielleicht ein Topfdeckel, vielleicht in der Küche, vielleicht stand Liselotte Moravec in der Küche, ihr Vater nannte sie Lilo.
    Wozu soll das gut sein, dachte Richard Kranz, während er sich das schwere Federbett vom Körper streifte, warum soll ich zu ihr hinuntergehen, aus dem Bett der Helene an den Tisch der Lilo, was soll ich sagen zu ihr, warum soll ich überhaupt etwas zu ihr sagen, dachte Richard Kranz, während er sich Hände und Gesicht in kaltem Wasser wusch, warum will ich, dass sie mich mag oder gern hat oder liebt, mag ich sie denn, habe ich sie denn gerne, liebe ich sie denn, dachte Richard Kranz, während er in Hemd und Hose schlüpfte, die er von Heinrich Moravec bekommen hatte, warum bin ich hier, gerade in diesem Haus, gerade in diesem Dorf, was habe ich hier zu suchen, was hatten alle anderen hier zu suchen, warumhatten sie alle nur das eine gewollt, dass man sie möge, gern hätte, liebte? Warum hatten sie alle so verbissen gelogen dieser Liebe zuliebe, dachte Richard Kranz, während er die schweren Schuhe, deren Sohlen sich mit Wasser vollgesogen hatten, zuschnürte, warum hatten sich Großpapa Kranz und Großvater Rombach und ihre Frauen und auch Vater und Mutter den Geschmack dieses Dorfes, dieses Landes, dieser Welt zurechtlügen wollen, warum hatten sie alle Theater gespielt auf Leben und Tod, sich freudig hineinbegeben in die Unfreiheit dieses Spiels, warum hatten sie sein wollen nicht wie sie gewesen waren und auch nicht wie die anderen Menschen, sondern wie die Schoßhunde oder die Wachhunde oder die Bluthunde der anderen? Großvater Jakob Rombach stand plötzlich vor Richard Kranz wie auf die dunkle innere Seite der Augenlider geklebt, klein, fett, der Schädel eckig wie ein Würfel aus Blei, zwischen der flachen breiten Nase – eine babylonische Sklavennase – und der kurzen Oberlippe ein Haarbüschel à la Charlie Chaplin, à la Adolf Hitler, die kurzen fleischigen Arme, die dicklichen behaarten Händchen in die Luft gehoben, segnend, verdammend, fuchtelnd.
    Lilo sah ihn an. Sie haben aber lange geschlafen, Herr Kranz, sagte sie, aber ich habe noch Tee für Sie, Herr Kranz, setzen Sie sich an den Tisch, trinken Sie Tee, wir haben auch Brot und Schmalz, wenn Sie so etwas essen. Danke, sagte Richard Kranz. Ich habe nämlich gehört, sagte Lilo, dass es für Juden verboten ist, Schweinefleisch zu essen oder Schweineschmalz. Ich bin kein Jude, sagte Richard Kranz. Sind Sie aber drollig, sagte Lilo, wenn Sie keinJude sind, wie wollen Sie uns dann vor den Russen beschützen? Heinz sagte, es ist besser, man hat

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