Thennberg oder Versuch einer Heimkehr
an den Hals gegriffen, womit er habe sagen wollen, dass der Lehrer gehenkt worden sei. Sie ist besser aufgehoben bei Ihnen, hatteder Baron zu Moravec gesagt, ich möchte nicht, dass man sie in meiner Wohnung findet, wenn ich – er hatte sich an den Hals gegriffen, wie sich Manfred Taub an den Hals gegriffen hatte. Nein, gehenkt werde ich wohl nicht, hatte er dann hinzugefügt, aber keiner von uns lebt ewig, und Sie, Herr Moravec, haben für Waffen immer etwas übrig gehabt, man kann es verstehen, Sie sind mir nicht böse, wenn ich das so formuliere: Wenn man schon hinken muss, trägt man lieber eine Waffe bei sich; sie sind ja immer so etwas wie ein Waffenfanatiker gewesen, ein Waffenfetischist, werden jetzt so etwas brauchen, denken Sie, Herr Moravec, Sie hätten einen Wachhund aus Eisen bekommen, eine Bulldogge aus Metall, Sie haben ja ein junges Mädchen im Haus und sich selbst obendrein, hatte der Baron gesagt, einen Wachhund werden Sie sicherlich brauchen können, Herr Moravec, Sie leben ja lange, das sieht man Ihnen an, Sie wollen hoch hinaus, das steht Ihnen in den Augen geschrieben, wenn Sie mir die Indiskretion verzeihen, und Leute, die hoch hinauswollen, brauchen einen verlässlichen Wachhund, aber wenn ich mich irren sollte, wenn Sie nicht hoch hinauswollen, sondern noch höher hinaus, um fünf Etagen höher, hatte der Baron gesagt, wenn Sie sich also umbringen wollen, dann haben Sie wenigstens ein verlässliches Gerät in der Hand. Sie bekommen auch die Trophäen, alle die Jagdtrophäen, ich finde, das gehört zu einer Pistole, zu einer Pistole passen die präparierten Körper und die Knochenreste toter Tiere. Ich schätze mich glücklich, hatte der Baron gesagt, dass ich, sozusagen bereits in Kontakt mit dem Tod, den Tod Ihnen weiterschenken kann, damit Sie ihn ebenfalls weiterschenkendem Menschen Ihrer Wahl. Moravec hatte sich bedankt, war dann mit dem Paket nach Hause gegangen und hatte die kleine flache Kiste in den Keller gestellt. Er hatte die Pistole seither oft in der Hand gehabt, hatte sie, wenn er in den Wald gegangen war, um Holz zu holen, trotz aller Verbote seitens der alten und der neuen Behörden immer eingesteckt, im Wald konnte einem alles mögliche passieren. Im Wald war die Leiche des Gastwirts Stanzl gelegen, erst vor drei Wochen, er war ausgeraubt worden und zusammengeschlagen und dann erdrosselt, im Wald war ein toter Mann gelegen, den niemand kannte, er war erschlagen worden mit einer Axt, im Wald war erst vor drei Tagen die närrische Gretl Vieböck gelegen, diese Idiotin, vergewaltigt, erschossen, im Wald streunten Männer herum, Kazetler auf dem Heimweg, Fremdarbeiter, russisches Militär, Nazis auf der Flucht, Soldaten in Uniform und Deserteure in gestohlenen Schuhen und Mänteln, im Wald wurde wahllos gemordet, da zählte es nicht mehr, ob irgendwo im Gestrüpp noch eine vierte Leiche lag oder eine fünfte.
Heinrich Moravec ging in das Haus hinauf, legte sich die Pelzjacke um die Schultern und humpelte wieder auf die Straße, um Lilo nicht sehen zu müssen und nicht Richard Kranz, ging spazieren, wieder ziellos und dann doch nicht ohne Ziel, sondern auf das Schloss zu, das dem jungen Ammer gehörte oder vielleicht dem jungen Kranz: Der war, falls seine Eltern tatsächlich nicht mehr lebten, Universalerbe, und falls der alte Baron Ammer das Schloss dem Ferdinand Kranz verkauft hatte, auch Erbe des Schlosses; es galt, die Besitzverhältnisse zu klären, zu klärenund zu ordnen. Das Sonnenlicht hatte bereits Wärme, und von dieser Wärme getrieben erst und dann getragen, erreichte Heinrich Moravec das Schloss. Vor dem Eingang stand ein Schaukelstuhl. Ordnen und klären, klären und ordnen, Heinrich Moravec saß, schaukelte, schwebte unter den Platanen, überflog, was zu tun war, flog über dem Dach des Schlosses, während sein rechter Fuß immer wieder in den Staub stampfte, um dem Schaukelstuhl neuen Schwung zu geben, und das linke Bein in der Luft baumelte, hin und her.
V
ierjunge Russen auf kleinen Pferden ritten durch das Dorf, drahtige Burschen, Maschinenpistolen schräg über die Rücken gehängt, als wären es Musikinstrumente (und so nannte man sie auch angstvoll zärtlich: Dawaj-Gitarren). Heinrich Moravec blickte aus seinem Schaukelstuhl den vier Reitern nach, ließ den linken Fuß baumeln, hin und her, im Walde baumelte jemand vielleicht an einem Strick, nicht er, Heinrich Moravec, noch nicht er, noch war ihm nichts zugestoßen, noch hatte er nichts getan, nein,
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