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Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Titel: Thennberg oder Versuch einer Heimkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gyoergy Sebestyen
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Privatleben zurück, nachdem ihr Vater, der Gutsverwalter, der ihren Mann überlebte, auf Grund seiner Verdienste um den Mehl- und Viktualienhandel in den Stand eines Barons erhoben worden war, trotzdem wurde Großmama in den Orden nicht aufgenommen, und so vermachte sie dann einen Teil ihres Vermögens den Ursulinerinnen, um wenigstensals Leiche für eine edle und katholische Dame gelten zu dürfen. Was sie in ihrem Leben nicht hatte erreichen können (hatte die Mutter erzählt), erreichte sie durch ihren Tod: sie liegt gleich hinter dem Hochaltar, an der Mauer der Kapelle der Ursulinerinnen, und auf ihrem Grabkreuz aus Porphyr steht nicht nur „Frau Fanny Kranz“, sondern auch „geb. Baronesse Kronfeld, Industriellenwitwe“. Wenn Jakob Rombach nicht geglaubt hätte, den Einfältigen und Brutalen spielen zu müssen, dann hätte er sich mit der Mutter seines Schwiegersohnes gut vertragen können. Vielleicht hätte er auf seine alten Tage die Gevatterin sogar geheiratet, und die beiden Alten wären miteinander vielleicht glücklich geworden oder wenigstens weniger unglücklich als sie es dann in ihrem Alleinsein waren. Jakob Rombach hatte insgeheim eine feine Seele. Nach seinem Tod (hatte die Mutter erzählt) fand man in der Schublade seines Nachttisches ein Heft, in dem, mit großen brutalen Buchstaben geschrieben, Notizen standen wie „Man rackert sich ab, aber wozu, du lieber Himmel, wozu?“ oder „Die edelste Nation ist die Resignation (Nestroy)“ oder „Und wenn ich einmal möcht spazierengehen, dann scheint die Sonne nicht, und wenn einmal die Sonne scheint, dann möcht ich grad nicht spazierengehen.“
    Und der Vater spielte auch, er spielte Ferdinand Kranz, Bankdirektor; am liebsten hätte er jeden Tag in der Stunde der Abenddämmerung ein Gläschen Portwein getrunken in einem Palmenhaus mit Blick auf einen herbstlichen Park, in dem Pfauen schritten. Er redete gerne über Waggon-Lits und über Appar tements und Soirees , und da er den Klang dieser und solcher Worte so sehr genoss, reiste er viel und wohnte oft in erstklassigen Hotels und nahm Einladungen in vornehme Häuser gerne an, da er durch Reisen, Hotels, Einladungen und so weiter Gelegenheit hatte, jene Worte immer wieder auszusprechen, obwohl er eigentlich lieber daheim gehockt wäre, allein, mit der Tasse Tee auf dem Tisch, mit einem Buch in der Hand. Vater wirkte immer wie ermattet, er war elegant gekleidet, hatte schöne dunkle Augen, die er vor lauter Müdigkeit nie ganz öffnen konnte, und auch sein Mund war vor lauter Müdigkeit immer halb offen, was spöttisch wirkte, melancholisch, resigniert, „ein feiner rastloser Mund“ (hatte die Mutter gesagt). Tante Paula, Mutters Schwester, spielte eine schweizerische Lady Milford, wobei sie unter dem faltigen Hals immer eine runde Brosche trug mit der Fotografie ihres Italieners: Das Bild zeigte ihn in der Rolle des Rigoletto mit weit aufgerissenem Mund. Und die Mutter verbrachte ihr ganzes Leben damit, sich vom Schnurrbart, vom einfältigen und brutalen Aussehen ihres Vaters zu distanzieren, sie rauschte immer herbei, prächtig wie eine Wolke, war mürrisch, herrisch, närrisch, eine Dame von Welt mit einem Körper wie ein großer überreifer Pfirsich, mit einer Seele wie der verkapselte bittere Inhalt eines Pfirsichkernes (das war einmal ein Spiel gewesen: mit einem Hammer die Pfirsichkerne aufzuschlagen und den weichen Inhalt zu essen, er war giftig und hatte süßlich geduftet), und aus dieser Seele kamen immer wundersame Schwärmereien hervor, in ihren jungen Jahren hatte die Mutter sich bedingungslos für Psychoanalyse begeistert, für Bewegungskunst, für Rudolf Steiner, für den Marxismus, für afrikanische Musik, sie wollte Ärztin werden, um Menschen und nebenbei auch die Menschheit heilen zu können, und sagte auch später noch, bereits als Dame der Gesellschaft, Sätze wie „Liebe ist Biologie“. Onkel Edi, Vaters Bruder, Eduard Kranz von der Anglo-Danubia hatte die Rolle des Landedelmannes übernommen. Er spielte den Gentry, hatte tausend Bekannte, und alle waren Helden von Anekdoten, und über alle seine Anekdotenhelden sprach Onkel Edi in einer Weise, als wären sie seine Regimentskameraden oder seine Leibeigenen oder wunderliche, aber minderwertige Fremdlinge gewesen. Lachen Sie nicht sogleich, Baron Ammer, hatte einmal Onkel Edi gesagt (er war am grünen Tisch gesessen, abends, vor dem Schloss, unter den Platanen), haben Sie ein wenig Geduld, Baron Ammer! Mit mir muss man

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