Thennberg oder Versuch einer Heimkehr
Geduld haben, wissen Sie, entsetzlich viel Geduld, das hat schon Constantin Nicolescu gesagt, ein Rumäne aus Fiume, Meeresfrüchte, Export-Import, und dabei hat er ursprünglich Harfenspieler gelernt, ein feiner Mann, er handelte später auch mit Leder und roch nach Salz, man wusste nicht genau, ob es der Schweiß war oder die Meeresluft. Die Damen störte das nicht, sie haben den Geruch nicht gespürt oder sie mochten ihn, der gute Nicolescu war jedenfalls ein großer Filou vor dem Herrn. Er hatte einen kurzen Bart, den er sorgfältig ölte, und trug ständig eine kleine Pistole bei sich, den Griff mit Perlmutt beschlagen, eine Damenpistole, wie es hieß, eine Pistole, aus der man nur auf Damen schießen durfte – so haben wir das verstanden. Er war gut in Form, unser FreundNicolescu, sein Onkel hatte eine Tabakfabrik in Braila, die Tochter dieses Onkels tanzte auf Befehl ihres Vaters mit einer Schellentrommel, von der rote Seidenbänder bis an den Boden hingen, und sie schüttelte das Haar dazu wie ein Zigeunermädchen. Das Leben ist ein Hauch, sang sie, das Leben ist der Hauch meines Mundes, wer küsst mich, wer küsst mich? Und dazu machte sie Augen, als stünde ihr Onkel vor ihr, Constantin Nicolescu persönlich, mit einem Ochsenziemer in der Hand, denn er konnte wild werden, der gute Nicolescu. Im Zimmer, in dem das Mädchen tanzte, roch es nach Honig, nach Hammelfleisch, nach Knoblauch und nach Zimt. Aber selbst dieser wilde Wallach mit seinem Ochsenziemer sagte einmal: Na gut, mit dir muss man Geduld haben, ich weiß. Onkel Edi begann zu lachen, er lachte allein, er hielt es für sein Privileg, ohne Rücksicht auf die Gesellschaft schallend lachen zu dürfen.
Phoebus Silbermann spielte noch im Kazet den rührigen Rechtsanwalt, Phoebus Silbermann aus Stanislau, Freund der Erfinder, und Adalbert Friedländer hatte sich als SS-Mann verkleidet, und in Abbazia benahm sich Frau Deutsch so, als wäre ihre Mutter nicht Fischhändlerin auf dem Preßburger Wochenmarkt gewesen, sondern die kränkliche Tochter eines Lords, aber Agnes Deutsch spielte nicht, sie litt an der Unberechenbarkeit ihrer eigenen Launen, wollte immer wieder milde sein und war steif und hart, war sensibel, nervös, zart, eigensinnig, ließ ihre Korkenzieherlocken zittern, ließ die falsche Lady, die ihre Mutter war, im Gartencafe sitzen, in Abbazia, stand vor dem Musikpavillion und blickte aus hysterisch blauen Augenauf den Schuh eines Oboisten, der den Fuß im Takt der Musik auf und ab bewegte; man spielte einen Walzer. Die Großeltern waren schwärmerisch, oder sie sammelten Geld, sie waren in Ehren gestorben; Vater und Mutter haben vor den anderen und auch vor sich selbst Theater gespielt, und doch wurden sie in Auschwitz in der Gaskammer getötet und im Krematorium verbrannt (Adalbert Friedländer hatte darüber angeblich verlässliche Nachricht); Onkel Edi, der Gentry und Kavalier, war eine Zeitlang im Lager Bergen-Belsen, vermutlich war er längst tot; Frau Deutsch lebte vielleicht, war vielleicht gestorben; Adalbert Friedländer wurde von einem Russen erschossen; Phoebus Silbermann hatte den Hunger, den Frost, die Schläge, die Wanzen, den Neid seiner Gefährten und den Haß seiner Feinde überlistet, hatte vielleicht die eigene Bereitschaft zum Sterben bewältigt, oder auch nicht; aber was ist mit Agnes Deutsch geschehen? Wohin ist jener hysterisch blaue Blick verschwunden, in welchem Krematorium wurden jene Augäpfel verbrannt?
Und Richard Kranz spielte den Richard Kranz. Er wusste es. Und spielte dennoch, genussvoll und verbissen, spielte weiter, spielte den Knaben von einst, der zurückgekehrt war zu Helene Wallach, zu ihrer Tochter, die Lilo hieß und Agnes Deutsch sein konnte, zurückgekehrt war in die Kindheit, zur einzigen Gefährtin, zum schönen Luxus: zu der Sehnsucht nach der Wollust, durch Liebe sich selbst zu vernichten. Vielleicht hatte er sein Leben allein dieser Sehnsucht zu verdanken. Nun ordnete sie sich um einen Kristallisationspunkt, wurde klar, hart, durchsichtig. Richard Kranz fühlte es: dieses lustvolle Spielenmit einer Rolle, mit einer Maske; und für einen Augenblick begriff er, dass für ihn Lilo bloß der Anlass war für irgendeine Liebelei, für ein leichtes Spiel – und er brauchte es endlich, dieses Spielen mit der Variabilität seiner selbst –, ein Anlass, zurückzufinden aus der Eindeutigkeit der Todesgefahr in die heimische Zweideutigkeit, in das freundliche Zaudern, Grübeln und grüblerische
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